Wasserstoff im Klimaschutz-Sofortprogramm

Was muss direkt nach der Bundestagswahl in knapp vier Wochen geschehen, wenn die politisch vereinbarten Klimaziele erreicht werden sollen, also Klimaneutralität bis 2045 und Reduzierung der Emissionen bis 2030 um 65% gegenüber 1990. Die Berliner Institute Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und die Stiftung Klimaneutralität schlagen ein Sofortprogramm mit 22 Punkten vor.

Welche Rolle soll Wasserstoff in diesem Programm spielen? 

1. Nationale Ebene: Die Produktion von Wasserstoff und die Infrastruktur

Die Autoren bemängeln, dass ein Jahr nach der Veröffentlichung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) im letzten Sommer der Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft noch immer unklar ist. Nach wie vor fehlen die Instrumente und Pläne. Das gilt für die Angebotsseite, die Nachfrageseite und auch für die Finanzierung der Infrastruktur . 

Die Verabschiedung einer “Wasserstoffstrategie 2.0” ist daher in den ersten 100 Tagen Regierungsarbeit notwendig:

a. Etwa 60 TWh klimaneutraler und daher Grüner Wasserstoff sollen bis 2030 zur Verfügung stehen. Das ist in etwa dieselbe Menge, die zur Zeit in Deutschland als Grauer Wasserstoff, also mit hohen Emissionen aus Erdgas, erzeugt und verbraucht wird. Das geschieht bisher vor allem in Ölraffinerien und in der Chemie. 

b. Die zusätzlichen klimaneutralen Wasserstoffmengen sollen dagegen durch Elektrolyseure bereitgestellt werden. Bis 2030 sind Kapazitäten von 10 GW notwendig. Das Volumen der Förderprogramme für die Herstellung von Grünem Wasserstoff soll daher mindestens verdoppelt werden.

c. Allerdings sollen die Elektrolyseure systemdienlich arbeiten. Standortwahl und Produktionszeiten sollen das Stromnetz nicht zusätzlich belasten. Also keine Anlagen, die – wie bisher die Dampfreformer in den Raffinerien – rund um die Uhr laufen und sich allein nach den Wünschen der Abnehmer richten. 

d. Ein H2-Startnetz soll umgehend in Angriff genommen werden: Mit staatlicher Beteiligung soll zusammen mit den Gasnetzbetreibern eine zentrale Infrastrukturgesellschaft geschaffen werden, um den Bau und die Finanzierung eines H2-Startnetzes zu beschleunigen. 

2. Nationale Ebene: Die Nachfrage nach Wasserstoff

Die Autoren verfolgen keinen “All-of-the-Above”-Ansatz, wie er etwa in der Nationalen Wasserstoffsstrategie (NWS) anklingt oder wie er auch empirisch in Deutschland und weltweit beobachtbar ist. Dort gibt es mittlerweile ein buntes Sammelsurium von oftmals lokalen H2-Projekten, die sich nicht an der Systemoptimisierung oder der “Systemdienlichkeit” orientieren. Vielmehr sind es zahllose Einzelinitiativen für Grünen und Blauen Wasserstoff in vielen Bereichen der Mobilität, Industrie, Wärmeversorgung oder Stromspeicher.

Im Gegensatz dazu soll der knappe Wasserstoff im Sofortprogramm nur in wenigen Sektoren zum Einsatz kommen. Vor allem dort, wo ein direkter Stromeinsatz nicht möglich ist. 

a. Industrie

Grüner Wasserstoff (Blauer Wasserstoff wird nicht erwähnt) soll im Sofortprogramm vor allem in der Stahl- und Chemieindustrie zum Einsatz kommen. Begründung: Hier gibt es neben den Wasserstoffpfaden nur wenige Alternativen, die klimaneutrale Prozesse ermöglichen.

Die Mehrkosten der Unternehmen sollen durch das Angebot von Klimaschutzverträgen aufgefangen werden. Da ein Großteil der bestehenden Anlagen ohnehin bis 2030 ersetzt oder modernisiert werden muss, können diese Abkommen schrittweise zur Dekarbonisierung der Industrie beitragen, ohne dass disruptive Stilllegungen notwendig werden. 

b. Güterverkehr auf der Straße

Der Güterverkehr wird auch in den kommenden Jahrzehnten vor allem auf der Straße stattfinden. Batterie, Brennstoffzelle oder Oberleitung? Die Autoren wollen sich hier nicht festlegen. Europäische Innovationskorridore sollen allen Optionen eine Chance geben.

c. Gebäudeheizung

Auch bei der Wärme stehen mehrere Optionen zur Auswahl. Klar ist, dass ab 2024 weder im Neubau noch im Bestand neue fossile Heizungen eingebaut werden sollen. Wärmepumpen oder klimaneutrales Gas bzw. Liquids sind die Mittel der Wahl, wenn Nah- und Fernwärme nicht opportun erscheinen. 

Der Einsatz von Grünem Wasserstoff für die Raumwärme soll im Sofortprogramm gering bleiben, wird aber – z.B. für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen – nicht ausgeschlossen.

3. Maßnahmen auf der europäischen Ebene (EU)

Im Dezember will die EU-Kommission weitere Maßnahmen für das “Fit for 55”-Paket vorschlagen. Die Autoren des Sofortprogramms schlagen eine Reihe von Verschärfungen und Ergänzungen gegenüber den bisherigen Vorschlägen der EU-Kommission vor:

Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, dass der Anteil der klimaneutralen Kraftstoffe im internationalen Luft- und Seeverkehr bis 2050 auf 100% steigen wird. Nach Stand der Technik kann das zum größeren Teil nur durch wasserstoffbasierte Kraftstoffe sowie durch Biokraftstoffe bewerkstelligt werden. 

Auch soll die EU dafür sorgen, dass in allen Sektoren effizienteren strombasierten Lösungen Vorrang gegenüber anderen Lösungen eingeräumt wird. Das würde wasserstoffbasierte Anwendungen etwa im Wärmebereich oder im Verkehr tendenziell eher bremsen.

Die EU soll zudem strikte Kontrollen bei Methanemissionen einführen und dazu passende Standards bei Energieimporten festlegen. Ergänzend soll ein satellitengestütztes Zertifizierungssystem für Methanemissionen eingeführt werden. Für die Wasserstoffwirtschaft kann das bedeuten, dass Importe von Blauem Wasserstoff (also erdgasbasiertem Wasserstoff plus CCS) erschwert werden.

Länder mit hohen spezifischen Methanemissionen im Erdgassektor wie Algerien oder Russland hätten gegenüber Lieferanten mit geringeren Upstream-Emissionen wie Norwegen oder Saudi-Arabien Nachteile. Generell hätte Grüner Wasserstoff Vorteile gegenüber Blauem Wasserstoff.

Quelle: Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Stiftung Klimaneutralität (2021): Das Klimaschutz- Sofortprogramm. 22 Eckpunkte für die ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung. Download
Projektleitung: Frank Steffe, Julia Metz, Benjamin Fischer 


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