Risiken der Offshore-Ölförderung
License to Spill – Kurzstudie zu den Risiken der Ölförderung in der Nordsee

© Frank Rohde – Fotolia.com

EnergyComment hat im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Kontakt: Büro Bärbel Höhn) eine Kurzstudie zu den Risiken der Ölförderung in der Nordsee erstellt.

Seit der Ölpest im Golf von Mexiko im Jahr 2010 (BP Deepwater Horizon) sind die Gefahren der Offshore-Ölförderung aus den Schlagzeilen verschwunden, da sich seither kein zweites Unglück in ähnlicher Größenordnung ereignet hat. Doch darüber wird vergessen, dass die Nordsee fast im Tagestakt mit Öl und schädlichen Chemikalien verschmutzt, sei es durch Unfälle, Unachtsamkeiten, Materialermüdung oder umfangreiche genehmigte Einleitungen.

In der Kurzstudie werden zahlreiche Daten, Statistiken und Einschätzungen zur Situation in der Nordsee zusammengetragen. Sie finden unten die Zusammenfassung und einen Download-Link.

Erste Reaktionen (15. April):

WDR Aktuelle Stunde (TV) mit interessanten Einschätzungen zur ökologischen Dimension (Prof. Antje Boetius)

Anschauliche Grafiken und Erläuterungen beim ZDF: heute.de (André Madaus)

Zeitbombe Nordseeöl – ein Artikel mit zahlreichen Zusatzinfos auf taz.de (Gernot Knödler)

Meldung in der Süddeutschen Zeitung

Ein Beitrag bei NDR Aktuell (Niedersachsen)

Zusammenfassung

1. Die Offshore-Ölförderung in der Nordsee ist und bleibt riskant. Das belegen die Unfälle und Beinahe-Katastrophen der letzten Jahre. Fast täglich wird die Nordsee mit Öl und schädlichen Chemikalien verschmutzt, sei es durch Unfälle, Unachtsamkeiten oder Materialermüdung.

Schon mehrfach stand die Nordsee in jüngerer Zeit kurz vor einer Katastrophe: Nur ein Zufall rettete 2011 die große norwegische Öl-Plattform Gullfaks C vor einer Explosion (Blow-out). Der Untersuchungsbericht der norwegischen Behörden kam zu dem Schluss, dass es letztlich glückliche Umstände waren, die eine Katastrophe verhinderten. Auch auf Gannet Alpha (2011) und auf Elgin-Franklin (2012), wo ein Gasleck außer Kontrolle geraten war, ereigneten sich in den letzten Jahren schwere Zwischenfälle. Erst vor wenigen Wochen traten an der ohnehin störanfälligen Plattform Statfjord C erhebliche Mengen Öl aus. Und das sind nur die Vorfälle, die bekannt geworden sind.

Im Jahr 2013 (bis 11. Dezember) wurden 551 meldepflichtige unerlaubte Einleitungen von Öl und Chemikalien allein im britischen Sektor der Nordsee verzeichnet. Im Jahr 2012 waren es 518, im Jahr 2011 546 Störfälle.

2. Hinzu kommt die sehr erhebliche schleichende Verschmutzung, die aus der erlaubten Einleitung von ölhaltigem Wasser in die Nordsee resultiert. Mehrere Tausend Tonnen pro Jahr an Öl und schädlichen Chemikalien stellen in der Summe eine Art „Dauerstörfall“ dar, der den Lebensraum Meer permanent belastet. Auch hier werden die zulässigen Grenzwerte immer wieder überschritten oder nur unzureichend kontrolliert.

3. Die Gefahr einer großen Ölkatastrophe in der Nordsee steigt. Es ist kein Geheimnis in der Branche, dass viele technische Einrichtungen in der südlichen und mittleren Nordsee veraltet sind. Die Region wird Schritt für Schritt zu einem Sanierungsfall mit Millionen Tonnen Stahl, Restöl und chemischen Stoffen.

Auch offiziell ist die Nordsee nun in der „Ageing Infrastructure Phase“, ein Euphemismus für Störanfälligigkeit, pausenlose Reparaturen und hohe Kosten, die niemand tragen will. Die Plattformen von Shell, BP u.a. sind zum größten Teil älter als 20 Jahre, ein Drittel sogar älter als 30 Jahre. Für die Eigentümer der Infrastruktur besteht wenig Anreiz, in Anlagen zu investieren, die angesichts nahezu erschöpfter Öl- und Gasfelder ohnehin bald abgewrackt werden müssen.

4. Die massenhafte Abwrackung der großen Stahlkonstruktionen in der oftmals stürmischen Nordsee stellt in einigen Jahren ein weiteres Risiko dar. Es gibt hierfür weltweit keine vergleichbaren Vorbilder, sodass schwieriges technisches Neuland betreten werden muss.

5. Nach Einschätzung der Aufsichtsbehörden fehlt einigen Betreibern der notwendige Willen zur Sorgfalt und Vorsicht. Insbesondere der Öl- und Gaskonzern Shell fiel über die Jahre mit einer endlosen Liste von Sicherheitsverstößen und Störfällen auf. Der Konzern hat zusammen mit BP eine der schlechtesten Sicherheitsbilanzen aller Ölfirmen in der britischen Nordsee. Die britische Aufsichtsbehörde HSE ordnete 2011 sogar eine Totalüberprüfung der Shell-Plattform Brent Charlie an, als sich die Störfälle häuften und sich nach Verwarnungen keine Verbesserung abzeichnete. Im norwegischen Sektor ist vor allem BP ins Visier der Aufsichtsbehörden geraten, als wiederholt zahlreiche Sicherheitsvorschriften verletzt wurden.

6. Ölunfälle stellen aufgrund der Strömungsverhältnisse in der Nordsee auch für die deutschen Küsten ein unmittelbares Risiko dar, insbesondere wenn sie im britischen Sektor stattfinden. Die norddeutschen Strände könnten je nach Ort und Umfang des Störfalls stark und lange verschmutzt werden. Bei grobkörnigen Sandstränden könnte das Öl tief eindringen und nur langsam durch Bakterien abgebaut werden. Das Ökosystem der Salzwiesen wäre über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt, wenn Organismen und Pflanzen absterben. Auch das Wattenmeer wäre über Jahre geschädigt, wenn ein Ölteppich die Fauna der Weichböden zerstören sollte.

7. Deutschland sollte daher gegenüber den Nordseeanrainern darauf dringen, dass die Aufsicht verstärkt und die bislang absurd niedrigen Sanktionen bei Ölunfällen verschärft werden. Illegale Einleitungen von Öl oder Chemikalien werden fast nie geahndet. Nur 7 von 4123 Oil Spills im britischen Sektor führten in den letzten Jahre zu Geldstrafen. Die höchste Strafe lag bei 24.000 Euro.

8. Ebenso ist zu fordern, dass die Unternehmen in der Nordsee zügig einen Weg Richtung „Zero Discharging“ einschlagen. Dazu gehört auch, dass weitaus schneller als bisher die verbesserten Sicherheitssysteme und Abläufe implementiert werden, die in der Branche nach der Ölpest im Golf von Mexiko entwickelt wurden.

9. Die Eigentümer der Bohr- und Förderanlagen sowie der ölrelevanten Infrastrukturen sollten in der Lage sein, die Folgekosten eines großen Ölunfalls vollständig selbst zu tragen und nicht der öffentlichen Hand aufzubürden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung finanzschwacher kleiner Ölfirmen, die in der Nordsee allmählich an die Stelle der großen Ölkonzerne treten.

Download der Kurzstudie (17 Seiten, 5 MB) 

 

 


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