In diesem Kapitel werden die Szenarien für den Markthochlauf von Grünem Wasserstoff mit der Alternative Blauer Wasserstoff verglichen.
Als Blauen Wasserstoff bezeichnet man eine Wasserstoffproduktion, die H2 durch den Einsatz von Erdgas in SMR- oder ATR-Anlagen (Dampfreformierung oder Autotherme Reformierung) herstellt. Dabei entstehen bislang hohe CO2-Emissionen. Das Treibhausgas soll jedoch in Zukunft abgeschieden und unterirdisch eingelagert werden (CCS, Carbon Capture and Storage). Dafür eignen sich insbesondere alte Gasfelder oder saline Strukturen unter der Nordsee.
Diese Kombination aus traditioneller Wasserstoffproduktion aus Erdgas (Grauer Wasserstoff) und CCS ist der sog. Blaue Wasserstoff.
Die bisher veröffentlichten Strategiepapiere in Berlin oder Brüssel (vgl. Kap.4) geben Grünem Wasserstoff den Vorzug, da nur auf diesem Pfad eine klimapolitisch saubere Lösung möglich ist. Blauer Wasserstoff wird als alternative Übergangslösung jedoch nicht ausgeschlossen.
Insofern ist das Rennen noch offen, denn die Gaswirtschaft, die Mineralölkonzerne und Teile der chemischen Industrie werben nach wie vor für Wasserstoff, der im Erdgaspfad erzeugt wird.
Auch eine Übersicht über die Großprojekte in Europa (vgl Kap.1) zeigt. dass im Moment sowohl Grüner Wasserstoff als auch Blauer Wasserstoff Zukunftschancen hat.
In Deutschland scheint es im Moment eine klare politische Präferenz für Grünen Wasserstoff zu geben, aber Importe von Blauem Wasserstoff könnten in der Praxis auch zu anderen Ergebnissen führen.
3.1 Wasserstoffmengen
Die folgende Abbildung zeigt, welche Mengen an Wasserstoff durch Grünen oder Blauen Wasserstoff in Deutschland je nach Szenario erzeugt werden.
Das Volumen ergibt sich im ersten Szenario (Stated Policies) und im zweiten Szenario (Failed Policies) aus den Zielen der Nationalen Wasserstoffstrategie (vgl. Kap. 2.1).
Die Wasserstoffproduktion steigt in beiden Szenarien von 4,6 TWh (2025) auf 27,6 TWh (2040).
Im Szenario Beschleunigung (kostenoptimiert) ist der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft erheblich schneller. Schon im Jahr 2025 werden 32,6 TWh Wasserstoff in Deutschland hergestellt. Im Jahr 2040 sind es bereits 203,5 TWh. Möglich wird das durch den raschen Ausbau der Wind- und Solarstromanlagen.
Im Szenario Mix ist das Tempo noch höher, da ein Teil der Elektrolyseure für Großverbraucher mit sehr hoher Auslastung arbeitet.
Die Mengen springen hier schon 2025 auf 46,6 TWh. Im Jahr 2040 werden in Deutschland 270,4 TWh Wasserstoff produziert.
Im Schaubild werden rechts davon die H2-Mengen gezeigt, die im Szenario Mix durch diese bedarfsorientiert arbeitenden Elektrolyseure bereitgestellt werden. Sie liegen im Jahr 2040 bei 105 TWh.

3.2 Kostenvergleich
Zu welchen Kosten könnten diese Wasserstoffmengen hergestellt werden? Die folgenden Seiten vergleichen die Kosten für die Hochlauf-Szenarien von Grünem Wasserstoff mit den Kosten für Blauen Wasserstoff.
Die spezifischen Kosten für Grünen Wasserstoff wurden bereits in Kap. 2.2.5 berechnet.
Die spezifischen Kosten für Blauen Wasserstoff (Greenfield/Neuanlagen) ergeben sich fast ausschließlich aus den Erdgaspreisen, den Investitionskosten für Neuanlagen (SMR/ATR), sowie den Kosten für die CO2-Speicherung. Wie bei den Elektrolyseuren bleiben auch hier kleinere Kostenkomponenten außer Betracht.
Die in der bisherigen Literatur häufig verwendeten Kosten bereits bestehender, ausgelasteter und weitgehend abgeschriebener SMR-Anlagen sind bei einem raschen H2-Markthochlauf naturgemäß ohne größere Bedeutung, da zusätzliche Anlagen gebaut werden müssten.
Berechnungen von Platts (2,33 $/kg für SMR-H2), eine Literaturübersicht (Bukold 2020) sowie IEA-Daten (IEA 2020d, IEA 2020e) zeigen ähnliche Kosten für Blauen Wasserstoff von aktuell ca. 2 €/kgH2, also 60 €/MWh.
In unseren Parametern nehmen wir an, dass der Erdgaspreis im Jahr 2050 nur bei 4,0 $/mmBtu liegen wird, da ein hohes Angebot auf eine sinkende Nachfrage im Dekarbonisierungspfad trifft. Diese Annahme ist naturgemäß mit großen Unsicherheiten verbunden. Das europäische Preisniveau wird derzeit von den marginalen Kosten amerikanischer LNG-Exporteure gedeckelt. Eine Verschärfung der Umwelt- und Klimaschutzpolitik in den USA oder auch ein beschleunigter Kohleausstieg in Asien könnte rasch höhere Gaspreise für Europa bedeuten. Insofern sind die Schätzungen eher konservativ.
Exkurs: Marktanalysen
Aktuelle Marktanalysen bestätigen diese Schätzungen. Die Marktanalysen von Platts (S&P Global) kommen aktuell auf weitaus niedrigere Preise für Grünen Wasserstoff als es Studien, die nur wenige Jahre alt sind, vermutet hätten.
Für niederländische PEM-Elektrolyseure berechnen sie die aktuellen Kosten inklusive Capex derzeit auf 3,5 €/kg H2 bei einem Auslastungsgrad von 95%, also niedrigen spezifischen Kapitalkosten, aber hohen Stromkosten (Platts 2020a, Platts 2020g).
Im Oktober 2020 berechneten sie Wasserstoffkosten von ca. 1,5 €/kg für SMR-Anlagen in den Niederlanden, inklusive Capex und CO2-Abgaben, aber ohne CCS.
Sobald die CO2-Preise europaweit Richtung 50 €/t gehen, erwarten die Analysten ähnliche Preise für Grünen und Blauen Wasserstoff in Europa. Das Preisniveau sollte dann bei 1,5-2,6 €/kg H2 liegen (Platts 2020g).
Platts: Kostenelemente für Grünen und Blauen Wasserstoff
Kapitalkosten (NL):
SMR ohne CCS: 910 $/kW
SMR mit CCS: 1680 $/kW
PEM Elektrolyse: 900 $/kW
Alk. Elektrolyse: 702 $/kg
SMR ohne CCS (NL):
Auslastung: 95%
Operative Kosten: 4,70% CAPEX p.a.
Betriebsdauer: 25 Jahre
Effizienz: 70%
Strompreis leitet sich zu 80% aus Baseload-Preisen und zu 20% aus Peakload-Preisen ab (NL EEX Month Ahead).
PEM Elektrolyseur (NL)
Auslastung: 95%
Operative Kosten: 1,50% CAPEX p.a.
Betriebsdauer: 25 Jahre
Effizienz: 58%
Alkaline Elektrolyse (NL)
Auslastung: 95%
Operative Kosten: 1,50% CAPEX p.a.
Betriebsdauer: 25 Jahre
Effizienz: 65%
CAPEX liegt bei 78% der Kosten für PEM Electrolyseure
Platts berücksichtigt Instandhaltungskosten von 15% der CAPEX alle sieben Jahre.
Quelle: Platts 2020a
BNEF erwartet in seinen aktualisierten Studien, dass Grüner Wasserstoff im Jahr 2030 in Westeuropa mit etwa 2 $/kg gleichauf mit der Konkurrenz liegt. An günstigen Standorten in den USA, Skandinavien oder Australien sind sogar Preise von 1,5 $/kg bis dahin möglich (BNEF 2020, BNEF 2020a).
Die Consultants von WoodMackenzie sind beim Zeitplan hingegen etwas skeptischer. Die Pipeline für Projekte im Bereich Grüner Wasserstoff wuchs zwar von 3,5 auf 15 GW in den ersten neuen Monaten 2020. Auch rechnet WoodMac mit wachsenden Kosten für Grauen und Blauen Wasserstoff. Bis 2040 legen diese voraussichtlich um 82% bzw. 59% zu.
Aber Grüner Wasserstoff wird bis 2030 nur unter günstigen Bedingungen gleichziehen können. Erst 2040 liegen die durchschnittlichen Kosten dann gleichauf, also später als bei der BNEF-Prognose (Gallagher 2020)
CCS-Kosten
Auch die CCS-Kosten, also die Kosten für die Abspaltung und Speicherung von CO2, sind schwer einzuschätzen. Die IEA hat in ihrem aktuellen CCUS-Bericht eine neue Schätzung vorgelegt.
1. Die CO2-Abspaltung bei der Wasserstoffherstellung wird demnach 50-75 $/t CO2 kosten.
2. Beim CO2-Transport hängt es vom Einzelfall ab. Bei küstennahen Standorten entlang der Nordsee werden die Transportkosten gering bleiben. Der CO2-Transport über Pipelines wird seit Jahrzehnten praktiziert und kann daher gut eingeschätzt werden.
Die mit Abstand billigste Lösung stellt die Umwidmung bereits bestehender Öl- oder Gaspipelines dar. Das könnte gerade in der Nordsee, wo ohnehin viele Pipelines derzeit außer Betrieb gehen, eine kostensparende Option sein.
3. CO2 kann in alten Öl- und Gasfeldern oder auch in tiefen salinen Formationen eingespeichert werden. Das Gas wird dazu zunächst so lange verdichtet, bis es flüssig wird. Das Reservoir muss über 800m tief liegen, damit der Druck ausreicht, um CO2 in diesem Zustand zu halten. Wenn das CO2 dann im Reservoir ist, ist ein Entweichen unwahrscheinlich. Diverse Mechanismen (Structural Trapping, Mineral Trapping, Solubility Trapping, Residual Trapping) verhindern das.
Die Kosten für die Einspeicherung sind von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. In den USA liegen sie im Durchschnitt bei 10 $/t CO2 für Lagerstätten an Land und 30 $/t für Offshore-Reservoirs.
Schätzungen für Europa sind höher. Dickel (OIES) schätzt die Kosten für CCS bei Blauem Wasserstoff längerfristig auf 50-70 €/t CO2 unter günstigen Bedingungen, davon 10-20 €/t CO2 für den Transport und die Einspeicherung (Dickel 2020).
Das Großprojekt „H21 North of England“ sieht die Aufwendungen für Transport und Einspeicherung höher bei 22 €/t CO2, unter optimalen Bedingungen mit nur kurzer Distanz zum Speicherort und günstigen geologischen Bedingungen. Über die Jahre sollen diese Kosten deutlich schrumpfen.
Das niederländische Großprojekt H-Vision veranschlagt, ebenfalls unter sehr günstigen Rahmenbedindungen, die Kosten für Transport und Einspeicherung von CO2 auf 17-30 €/t CO2 (H-Vision 2019).
Deutsche Anlagen für Blauen Wasserstoff haben grundsätzlich etwas ungünstigere geografische Voraussetzungen, wenn sie alte Gasfelder oder tiefe saline Formationen in der Nordsee nutzen wollen. Daher sollten hier etwas höhere Kosten als in den Niederlanden oder in Großbritannien angesetzt werden.
Addiert man die Kosten für die Abspaltung, ergeben sich also insgesamt CCS-Kosten für Blauen Wasserstoff in Deutschland in Höhe von geschätzt 75-100 €/t CO2.
Da bei der Wasserstoffproduktion etwa 0,30tCO2/MWh_H2 entstehen, läuft das auf Mehrkosten durch CCS von mindestens 22,5-30 Euro für eine MWh Wasserstoff hinaus.
Alternative Berechnung: Orientierung an CO2-Preisen
Die tatsächlichen Marktpreise könnten natürlich deutlich höher liegen, falls das Angebot an Pipelinekapazitäten und Lagerstätten knapp bleibt.
Es wäre plausibel anzunehmen, dass die Anbieter von CO2-Speichern Preise im Markt durchsetzen, die in der Nähe der CO2-Kosten ihrer Kunden liegen.
Einerseits werden die Kosten für die CCS-Anbieter mit steigender Erfahrung und vernetzter Infrastruktur fallen. Andererseits wächst jedoch ihre Marktmacht, da eine Verschärfung der Klimapolitik diese CCS-Kapazitäten zu einem knappen Gut macht, dessen Wert durch höhere CO2-Abgaben steigt.
Unterstellt man CCS-Kosten (Abspaltung, Transport, Speicher) in Höhe der CO2-Abgaben bei SMR-Anlagen, die in unseren Parametern von 55 €/tCO2 (2025) über 100 €/t CO2 (2030) auf 150 €/tCO2 (2040) steigen, dann ergeben sich allein daraus für 2040 Mehrkosten von umgerechnet 35-40 €/MWh_H2 für die Produzenten von Blauem Wasserstoff.
Fazit
Anders als bei den Elektrolyseuren werden bei SMR-Anlagen und ATR-Anlagen keine größeren Kostensenkungen erwartet. Die spezifischen Kapazitätskosten liegen schon heute höher als bei Elektrolyseuren. Der Abstand dürfte in den nächsten Jahren deutlich wachsen. Alternative Ansätze wie die Methanpyrolyse sind noch teurer und noch nicht marktreif.
Wir unterstellen hier insgesamt einen moderateren Pfad der Kostenentwicklung für Blauen Wasserstoff, der eher eine Untergrenze darstellt.
Die Kosten für Blauen Wasserstoff steigen demnach bei neuen SMR/ATR-Anlagen in Deutschland von 60 €/MWh_H2 im Jahr 2025 über 70 €/MWh_H2 im Jahr 2030 auf 80 €/MWh_H2 im Jahr 2040 (vgl. Abb. nächste Seite).
Einschränkend muss man hinzufügen, dass es bislang in Europa keine funktionierende Produktionskette von Blauem Wasserstoff im engeren Sinn in der Praxis gibt. Die damit verbundenen Unsicherheiten verdeutlichen wir im Schaubild mit einer breiten Kostenspannbreite.
Insgesamt zeigen die Zahlen: Bei einem Hochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft wäre Grüner Wasserstoff also schon 2025 wettbewerbsfähig.
Nur im Szenario Failed Policies, also bei einem verzögerten Ausbau von Solar- und Windanlagen, steigen die Kosten für Grünen Wasserstoff bis 2040 über die Kosten von Blauem Wasserstoff hinaus.
Auch die Variante der bedarfsorientierten Fahrweise für industrielle Großverbraucher weist im Zeitverlauf relativ hohe Kosten auf, die bis 2040 nicht unter den Ausgangswert von 2025 fallen können.
Mit Abstand die beste Kostenperformance zeigt das Szenario Beschleunigung für Elektrolyseure mit kostenoptimierter Fahrweise (vgl. Abb. unten). Der Strommarkt bietet hier ein großes Angebot an günstigem Grünstrom, das von den Elektrolyseuren genutzt wird.
Die Kosten für Grünen Wasserstoff sinken dadurch im kommenden Jahrzehnt weit unter die Kosten für Blauen Wasserstoff.

3.3 Emissionsvergleich
Die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt die spezifischen CO2-Emissionen von Elektrolyseuren und von Blauem Wasserstoff, also SMR/ATR-Anlagen mit nachgeschaltetem CCS.
Die Werte für die Hochlaufszenarien bei Grünem Wasserstoff übernehmen wir aus Kap. 2.3.2., S.46).
Bei den Emissionen des Blauen Wasserstoffs greifen wir auf die Ergebnisse der Literaturübersicht in der Januar-Studie zurück (Bukold 2020). Vereinfachend lassen wir die CO2-Emissionen beim Bau von SMR-/ATR-Anlagen wie auch bei ben Elektrolyseuren außer Betracht.
Wir unterstellen den Neubau einer hochmodernen ATR-Wasserstoffanlage mit CCS. Sie spaltet 90% der produktionsbedingten CO2-Emissionen von 0,30 tCO2/MWh ab, die anschließend in der Nordsee endgelagert werden. Diese Transport- und Speichervorgänge werden bei 5% der produktionsbedingten CO2-Emissionen gesehen. Das sind in der Summe 0,045 tCO2/MWh (vgl. hierzu auch Gerhardt/Bard 2020).
Hinzu kommen die Emissionen in der Vorkette der Erdgasbeschaffung, also insbesondere Flaring/Venting sowie der Energieaufwand des Transports (Pipelines, LNG). Diese Emissionen summieren sich auf 0,098 tCO2/MWh_H2 (Bukold 2020, S.9f, S.36-47).
Die steigenden CO2-Preise werden auch bei den Produzenten von Blauem Wasserstoff und den Erdgaslieferanten Anpassungsprozesse auslösen. Die geplanten CO2 Border Taxes bilden einen Anreiz, Gaslieferanten mit nachweisbar niedrigen Vorkettenemissionen zu wählen, was wiederum bei den Gasexporteuren Reaktionen auslöst, falls sie nicht ohnehin schon ihren eigenen nationalen Klimavorgaben folgen müssen.
Wir nehmen daher an, dass die Emissionen der SMR/ATR-Anlagen sowie bei den CCS-Prozessen bis 2040 halbiert werden. Die spezifischen CO2-Emissionen fallen daher von zunächst 0,045 tCO2/MWh_H2 auf 0,0225 tCO2/MWh_H2.
Hinzu kommt, dass in einem Klimaschutzpfad, den wir in unseren Szenarien annehmen, der Erdgasbedarf Deutschlands stark sinken wird. Die Gasimporteure könnten dann stärker selektieren und emissionsarmen Versorgungsketten den Vorzug geben.
Daher unterstellen wir, dass auch die Vorkettenemissionen bis 2040 halbiert werden. Das stellt zweifellos eine optimistische Annahme dar, da die Schätzungen über die Vorkettenemissionen der Erdgaswirtschaft seit Jahren eher wachsen als schrumpfen. Zum aktuellen Stand von Flaring und Venting bietet die IEA laufend aktualisierte Webseiten (IEA 2020f). Allein das Flaring (Abfackelung von Erdgas) produziert nach Schätzungen der IEA weltweit 275 Mio.t CO2 pro Jahr.
Sollte die Reduzierung speziell in den Lieferketten für Deutschland jedoch gelingen, fallen die spezifischen CO2-Emissionen in diesem Bereich von bisher 0,098 tCO2/MWh_H2 auf 0,049 tCO2/MWh_H2.
Insgesamt sinken durch diese Anpassungen die CO2-Emissionen bei der Herstellung von Blauem Wasserstoff in Europa von 0,14 tCO2/MWh_H2 (2025) auf 0,06 tCO2/MWh_H2 (2040).
Das setzt natürlich voraus, dass geeignete CCS-Lagerstätten überhaupt vorhanden und verfügbar sind (vgl. nächstes Kapitel).
Dieselben Anpassungsprozesse verringern auch die CO2-Emissionen von Grauem Wasserstoff – also der Produktion von Wasserstoff in SMR- oder ATR-Anlagen ohne nachgeschaltete CCS-Prozesse. Sie fallen von bislang 0,40 (2025) auf 0,35 tCO2/MWh_H2 (2040). Das spiegelt die Verbesserung bei den Vorkettenemissionen wider.
Das Schaubild auf der vorigen Seite vergleicht nun die Ergebnisse für Grünen, Blauen und Grauen Wasserstoff.
Im Stichjahr 2025 wie auch in den Folgejahren weist Grauer Wasserstoff die höchsten Emissionen auf. Zum Vergleich: Der Wert von 0,40 tCO2/MWh_H2 liegt in etwa so hoch wie bei der Stromerzeugung eines modernen Gaskraftwerkes und doppelt so hoch wie bei der direkten Verbrennung von Erdgas. Grauer Wasserstoff verschärft also die klimapolitischen Probleme und kann in keiner Weise zu ihrer Lösung beitragen.
Im Stichjahr 2025 liegen auch die Emissionen von Grünem Wasserstoff noch sehr hoch. Mit 0,36 tCO2/MWh_H2 rangieren sie nur leicht unter Grauem Wasserstoff.
Mit der fortschreitenden Dekarbonisierung des Strommixes sinken die Emissionen jedoch:
- Im Referenzszenario fallen sie bis zum Jahr 2040 auf 0,07 tCO2/MWh_H2.
- Selbst im Szenario Failed Policies gehen sie zurück, allerdings nur bis auf 0,13 tCO2/MWh_H2.
- Am besten schneidet das Szenario Beschleunigung (kostenoptimierte Fahrweise) ab. In den 2030er Jahren sinken die Emissionen auf Null.
- Das gelingt in der Beschleunigungs-Variante mit bedarfsorientiert produzierenden Großelektrolyseuren für die Industrie nicht. Hier bleiben die Emissionen auf einem ähnlichen Niveau wie im Referenzszenario.
Der Pfad des Blauen Wasserstoffs emittiert in den 2020er Jahren weniger CO2 als Grüner Wasserstoff (vgl. hierzu auch das folgende Kapitel 3.4).
In den 2030er Jahren wird er jedoch vom Grünen Wasserstoff im Beschleunigungs-Szenario überholt. Die übrigen Szenarien für Grünen Wasserstoff ziehen bis 2040 gleich.
Es sei angemerkt, dass in den Jahren nach 2040 die Emissionsbilanz in allen Szenarien für Grünen Wasserstoff allmählich Richtung Null sinkt, während das bei Blauem Wasserstoff nicht zu erwarten ist.

3.4 Die Verfügbarkeit von CCS – Die Achillesferse des Blauen Wasserstoffs
Ohne CCS kein Blauer Wasserstoff: Der Ausbau der SMR/ATR-Anlagen und der CO2-Speicher muss gleichzeitig erfolgen, denn andernfalls wird das CO2 wie bei Grauem Wasserstoff in die Atmosphäre entlassen.
Doch stehen in den nächsten Jahren ausreichende Speicherkapazitäten für deutsche Produzenten von Blauem Wasserstoff überhaupt zur Verfügung?
Die klimapolitische Rolle von CCS
Die Internationale Energieagentur IEA hat im September ihren neuesten Bericht zu CCS bzw. CCUS vorgelegt, also Carbon Capture, Utilization and Storage (Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2) (IEA 2020d).
Im deutschen Sprachraum ist der Begriff CCS häufiger anzutreffen. Er deckt sich mit CCUS weitgehend, nur dass im ersten Fall die ohnehin in Europa seltenere Nutzung von CO2 nicht enthalten ist.
CCS gilt ähnlich wie Wasserstoff als eine der Schlüsseltechnologien auf dem Weg zu einer Zero-Carbon-Welt. Die Technologie ist jedoch sehr umstritten und konnte sich nach einem zunächst dynamischen Start in den letzten 30 Jahren kaum verbreiten: Hohe Kosten, technische Probleme und schwer einschätzbare Risiken führten zu zahllosen Projektabbrüchen.
CCS hat gegenüber anderen Ansätzen aber auch eine Reihe von Vorteilen:
- CCS bietet eine Lösung für Kraftwerke oder Industrieanlagen, die noch relativ neu sind und deren Abschaltung mit hohen Folgekosten verbunden wäre.
- Das gilt in ähnlicher Weise für bislang unvermeidbare CO2-Emissionen, z.B. die Emissionen von Zementwerken, für die es bislang keine attraktiven Alternativen gibt. Allein die Prozessemissionen der Zementproduktion liegen weltweit bei 2,4 Gt CO2 pro Jahr.
- CCS könnte außerdem Biomasse-Kraftwerke dekarbonisieren und auf diese Weise Negativ-Emissionen ermöglichen (BECCS). Dasselbe gilt für Anlagen mit Direct Air Capture (DAC), die CO2 direkt der Atmosphäre entziehen.
Diese Vorteile sind jedoch eine Bremse für Blauen Wasserstoff, denn anders als in den oben genannten Fällen steht hier eine attraktive und emissionsfreie Alternative zur Verfügung: Der Grüne Wasserstoff aus Elektrolyseuren.
Aus klimapolitischer Sicht sollten die knappen CCS-Speichermöglichkeiten also für Anwendungen reserviert bleiben, in denen keine technischen Alternativen zur Verfügung stehen (vgl. hierzu ausführlicher IEA 2020e).
CCUS heute
Doch selbst wenn die CCS-Kapazitäten auch für die Emissionen des Blauen Wasserstoff zur Verfügung stehen sollen, gibt es ein enormes Mengenproblem. Im Moment gibt es weltweit nur 21 größere CCUS-Anlagen, von denen 20 in Betrieb sind.
Das Zentrum der bisherigen Anwendungen befindet sich in den USA und Kanada. Dort wird CO2 schon seit Jahrzehnten bei der Ölförderung eingesetzt, um den Druck in den Lagerstätten zu erhöhen und Öl damit an die Oberfläche zu pressen (Enhanced Oil Recovery/EOR).
Zu diesem Typus gehören 16 der 21 Anlagen weltweit. Der Klimaeffekt ist begrenzt, da ein Teil des eingesetzten CO2 wieder in die Atmosphäre entweicht.
Mit anderen Worten: Es gibt derzeit nur vier aktive CCUS-Anlagen, die tatsächlich in nennenswertem Umfang CO2 dauerhaft entsorgen.


CCUS-Pläne
Weltweit steigt jedoch die Zahl der geplanten CCS-Anlagen. Zusammen würden diese 30 Projekte Investitionen von 27 Mrd. Dollar erfordern. Aber noch ist laut IEA ungewiss, wieviele Projekte tatsächlich grünes Licht erhalten (FID) und verwirklicht werden.
Die Bedeutung von EOR-Anlagen für die Ölindustrie geht bei diesen neuen Projekten relativ gesehen zurück. Vor allem Kraftwerke werden in Zukunft wichtiger.
Im Moment dominieren aber außerhalb des Ölsektors die Anlagen zur Reinigung/Aufbereitung von Erdgas (Natural Gas Processing) für den Pipelinetransport. Dabei muss auch das CO2 aus dem Erdgasgemisch entfernt werden. Andere Anwendungen spielen bisher fast keine Rolle (vgl. Abb. vorige Seite).
Sollten alle geplanten Großprojekte realisiert werden, könnte die globale CCS-Kapazität laut IEA von derzeit 20 Mio.t CO2 pro Jahr in den nächsten Jahren auf 60 Mio.t steigen.
Europa löst die USA ab
Regional betrachtet verschob sich in den letzten Jahren der Schwerpunkt der Pläne von Nordamerika Richtung Europa.
Die größten CCS-Hubs in Europa bilden sich derzeit rund um die Nordsee, also in England, Schottland, Norwegen, Dänemark, Belgien und den Niederlanden, eventuell auch in NRW, das dann per Pipeline mit der Nordseeküste verbunden wird.
In der Nordsee stehen dafür zahlreiche leere Öl- und Gasfelder sowie saline Aquifere für die CO2-Einspeicherung zur Verfügung. Große CCUS-Projekte in Europa sind derzeit:
Northern Light (Norwegen)
Northern Lights ist derzeit das europäische „Flagship“-CCS-Projekt. Equinor, Shell und Total wollen dort eine Kapazität von 5 Mio. Tonnen CO2 jährlich für Emittenten aus ganz Europa anbieten. Die Kapazität soll vorerst aber nur 0,8 Mio.t CO2 pro Jahr betragen und dann eventuell ausgebaut werden. Insgesamt kann die Anlage 100 Mio.t CO2 über die Jahre hinweg einspeichern.
Longship (Norwegen)
Im September 2020 hat die Regierung in Oslo das Longship-Projekt auf den Weg gebracht. Es soll in wenigen Jahren die CO2-Emissionen eines norwegischen Zementwerks (Norcem) und einer Müllverbrennungsanlage (Fortum Oslo Varme) abspalten und zu dem eben erwähnten Northern Lights Projekt transportieren. Weitere norwegische Industrieanlagen sollen Schritt für Schritt mit dieser Anlage verbunden werden.
Porthos (Niederlande):
Die Betriebe im Hafen von Rotterdam emittieren jährlich 28 Mio.t CO2. Die Hafenbehörde, Gasunie und EBN planen für einen Teil dieser Emissionen derzeit einen Offshore-CO2-Speicher mit einer Kapazität von jährlich 2-5 Mio.t CO2.
Zero Carbon Humber (UK):
In diesem Projekt wird Erdgas in der Region Humber zu Wasserstoff verarbeitet. Das CO2 aus dieser Anlage und weiteren Industrieanlagen wird in der Nordsee eingespeichert. Die CCS-Kapazität soll in der ersten Projektstufe bei jährlich 10 Mio.t CO2 liegen.
Net Zero Teesside (UK):
Bis zu 6 Mio.t CO2 aus diversen Industriebetrieben in Teesside sollen jährlich gesammelt und offshore in der Nordsee gespeichert werden. Das dafür vorgesehene Reservoir kann maximal 1 Gt CO2 aufnehmen.
Ervia Cork (Irland):
In diesem Projekten sollen 2,5 Mio.t CO2 p.a. aus zwei Gaskraftwerken und einer Ölraffinerie gesammelt werden.
Sonstige Projekte in einer frühen Projektphase sind:
H21 (Nordengland) mit Schwerpunkt Haushalte und Betriebe; und HyNet mit Schwerpunkt Wasserstoff und CCUS.
Eine aktuelle Übersicht von Rystad Energy zeigt, dass es in Europa momentan 10 große CCS-Projekte gibt, die bis 2035 in Betrieb gehen könnten. Geografischer Schwerpunkt ist die Nordsee. Sie sollen Emissionen der jeweiligen Anrainerstaaten aufnehmen, also Großbritannien, Norwegen, Dänemark und die Niederlande. Weitere Vorhaben gibt es in Irland und Italien.
Die 10 Großprojekte könnten die Speicherkapazitäten in den Jahren 2021-2025 um 3 Mio.t CO2 pro Jahr erweitern. Der Ausbau könnte auf 7 Mio.t CO2 pro Jahr im Zeitraum 2026-2030 klettern und 2035 schließlich auf 75 Mio.t pro Jahr springen. Davon befänden sich dann 80% in Großbritannien.
Rystad Energy schätzt, dass bis zum Jahr 2035 in Europa 35 Mrd. Dollar in diese europäischen CCS-Projekte fließen müssten, davon die Hälfte für „Capture“, also die Anlagen für die Abtrennung des CO2 an den emittierenden Anlagen. Die CCS-Speicher benötigen etwa 15% der Summe. CO2-Transport und operative Kosten verschlingen 35% (Rystad Energy 2020).

Konsequenzen für Deutschland
Die Projektliste soll vor allem klarmachen, dass die Nutzer der jetzt entstehenden CCS-Kapazitäten in der Nordsee schon weitgehend feststehen.
Als Hauptanrainer der Nordsee verfügen Norwegen, Großbritannien und die Niederlande über den besten Zugang zu den Reservoirs. Sie sollen fast ausschließlich für Industriekunden im eigenen Land genutzt werden.
Für den Hochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft bedeutet das, dass für den Pfad des Blauen Wasserstoffs in den nächsten Jahren keine nennenswerten CCS-Kapazitäten zur Verfügung stehen. Der Bau eigener CCS-Speicher im Inland ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, da die politischen Widerstände zu stark sein dürften.
Die Abbildung unten zeigt, welchen CCS-Speicherbedarf die deutsche Wasserstoffwirtschaft hätte, wenn sie auf Blauen Wasserstoff und nicht auf Grünen Wasserstoff setzt.
Je nach Szenario müssten schon im Jahr 2030 3,2 bis 30,5 Mio.t CO2 jährlich eingespeichert werden. Bis 2040 wären es 8,3 bis 81,1 Mio. Tonnen pro Jahr.
Dem stehen im Moment praktisch überhaupt keine nennenswerte Speicherkapazitäten gegenüber. Bis 2025 scheinen maximal 1 Mio.t verfügbar zu sein, falls sich deutsche Nachfrager beim Ausbau von Northern Light (Norwegen) durchsetzen.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass bei fast allen geplanten CCS-Projekten norwegische, britische und niederländische Produzenten von Blauem Wasserstoff den Vorzug erhalten, um die jeweiligen nationalen Klimaziele zu erreichen und um CCS als Standortfaktor nutzen zu können für eine möglicherweise boomende Wasserstoffwirtschaft.
Blauer Wasserstoff, der in Deutschland hergestellt wird, steht damit vor einem schwierigen strategischen Problem, für das sich zumindest in den nächsten zwei Jahrzehnten keine Lösung abzeichnet.
Erst nach dem Jahr 2040 könnte der Ausbau von CCS-Kapazitäten in der Nordsee einen solchen Umfang erreichen, dass größere Emissionsmengen einer deutschen fossilen Wasserstoffwirtschaft eingespeichert werden können.
Das Schaubild unten zeigt beispielhaft, wie sich die Emissionsbilanz für Blauen Wasserstoffs entwickeln könnte, wenn nur für Teile der Produktion rechtzeitig CCS-Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Nimmt man (sehr optimistisch) an, dass für die Hälfte der Produktionsmengen CCS-Speicher zur Verfügung, dann schwindet der Emissionsvorteil des Blauen Wasserstoffs dennoch gegenüber allen Varianten des Grüner Wasserstoffs schon in wenigen Jahren.
Die Emissionen fallen in diesem Fall von 0,27 tCO2/MWh_H2 im Jahr 2025 nur leicht auf 0,21 tCO2/MWh_H2 im Jahr 2040.
Die Klimabelastung wäre dann drei Mal so hoch wie im Referenzszenario (Stated Policies und im kommenden Jahrzehnt auch höher als im Szenario Failed Policies, das durch einen zögerlichen Ausbau von Wind- und Solarstromanlagen gekennzeichnet ist.


3.5 Gesamtwirtschaftliche Effekte
3.5.1 Wertschöpfung, Außenhandel und Arbeitsplätze
Wertschöpfung in den Szenarien
Die Wertschöpfungstiefe bei einer Wasserstoffproduktion im Inland ist weitaus größer als bei einem Import erneuerbarer Brennstoffe.
Das gilt insbesondere für die Wertschöpfungsstufen der erneuerbaren Stromproduktion sowie bei der Installation und beim Betrieb von Elektrolyseuren.
Die beiden Szenarien „Stated Policies“ und „Beschleunigung“ zeigen erhebliche Unterschiede bei der installierten Leistung von Wind- und Solaranlagen: 31 GW bzw. 29 GW im Jahr 2030; 58 GW bzw. 137 GW im Jahr 2050.
Auch bei der Kapazität der Elektrolyseure ist der Unterschied deutlich: 30 GW Differenz im Jahr 2030 und 97 GW Differenz im Jahr 2050.
Im Szenario „Beschleunigung“ werden gegenüber dem Szenario „Stated Policies“ im Jahr 2030 zusätzliche 60 TWh Wasserstoff im Inland produziert. Diese Mengen müssten bei konstanter Nachfrage also nicht importiert werden. Im Jahr 2040 belaufen sich die vermiedenen Importe bereits auf knapp 200 TWh.
Nimmt man einen Importpreis von 60 bis 90 EUR/MWh an, dann fallen die Importkosten durch die höhere inländische Produktion um 12 bis 18 Mrd. EUR jährlich.
Wertschöpfung: Kennzahlen
Nach Schätzungen der LBST (Ludwig-Bölkow-Systemtechnik) hätte der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft samt der dazugehörigen Stromerzeuger in Deutschland erhebliche Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzeffekte. Je nach Technologie gibt es unterschiedlich große Effekte (Michalski/Altmann 2019):
- Grüner Wasserstoff (Produktion und Speicherung): Hier finden 84% der Wertschöpfung im Inland statt
- Windkraftanlagen Onshore: Ebenfalls 84% der Wertschöpfung finden im Inland statt
- Windkraftanlagen Offshore: 97%
- Fotovoltaikanlagen: 40%.
Bei der Fotovoltaik wird unterstellt, dass die Module 50% der Investitionssumme ausmachen und importiert werden müssen, während die restlichen Komponenten (Wechselrichter, Kabel, Aufständerung, Installation) zu 80% in Deutschland produziert werden. Damit ergibt sich ein Wertschöpfungsanteil von 40% (Michalski/Altmann 2019).
Arbeitsplätze: Kennzahlen
Im Anlagenbau kann von einem Arbeitsplatzeffekt von vier Arbeitsplätzen je Mio. € Investition ausgegangen werden. Hinzu kommt der Effekt beim Betrieb der Elektrolyseure:
- 2030: 280 Arbeitsplätze je GW Kapazität;
- 2050: 120 Arbeitsplätze je GW Kapazität
Die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt die Wertschöpfungsstufen im Detail.
Die Abbildung auf der übernächsten Seite zeigt die Arbeitsplatzeffekte für Deutschland und für NRW beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in den Jahren 2030 und 2050.
In einem Klimaschutzszenario mit >95% Emissionsreduzierung rechnet die LBST bei einem umfassenden Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft mit 1,01 Mio. zusätzlichen Arbeitsplätzen im Jahr 2050 für Deutschland. Dabei spielt die Versorgung der Elektrolyseure mit Grünstrom die größte Rolle mit 87% der Jobs.
Die inländische Wertschöpfung im Wasserstoffpfad in Deutschland liegt laut LBST bei 49 Mrd. Euro pro Jahr. Im Elektrifizierungspfad mit geringeren Wasserstoffanteilen wären es 42 Mrd. Euro pro Jahr.
Auch im Wasserstoffpfad entfällt mehr als 70% der Wertschöpfung auf die Stromerzeugung, die für die Elektrolyseure benötigt wird.
Die Elektrolyseure haben mit 7 Mrd. Euro pro Jahr jedoch einen bedeutenden Anteil an der direkten Wertschöpfung. Bei einem CO2-Minderungsziel von 95% steigt zudem die Bedeutung der Wasserstoffspeicher. Hier liegt die Wertschöpfung im Wasserstoffpfad bei 5 Mrd. Euro für die Speicher und 2 Mrd. Euro für den H2-Transport (Michalski/Altmann 2019).
Studien der Fraunhofer-Institute kommen auf ähnliche Größenordnungen. Sie schätzen die Wertschöpfung in Deutschland bei einem umfassenden globalen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft bis 2050 auf 5,5 Mrd. Euro pro Jahr allein für den Bereich der Elektrolyseure. Hinzu kommen 26 Mrd. Euro Wertschöpfung pro Jahr für die Brennstoffzellen im Verkehr (2050).
Insgesamt könnten deutsche Hersteller in den Sektoren Elektrolyse und Brennstoffzellen mit einer Wertschöpfung von etwa 10 Mrd. Euro im Jahr 2030 und etwa 32 Mrd. Euro im Jahr 2050 rechnen (Hebling/Ragwitz 2019).
Eine neuere Studie von LBST und Trinomics überträgt die bisherigen Erkenntnisse auf die europäische Ebene. In einem Szenario für die erste Phase eines Markthochlaufs bis 2030 mit 9-41 TWh Wasserstoff für Deutschland entstehen demnach 23.000-83.000 Arbeitsplätze bei einer inländischen Wertschöpfung von 1,9-7,6 Mrd. Euro (Trinomics/LBST 2020).


Blauer Wasserstoff
Bei Anlagen für Blauen Wasserstoff sind die spezifischen Wertschöpfungseffekte im Inland geringer. Zwar findet auch in diesem Fall ein Bau der Wasserstoffanlagen in Deutschland statt, also vor allem zusätzliche ATR-Anlagen und CO2-Abspaltungseinrichtungen. Aber ein großer Teil der CCS-Infrastruktur wie Pipelines und Speicher befinden sich im britischen oder norwegischen Sektor der Nordsee.
Auch muss Erdgas für die Wasserstoffproduktion nach wie vor zu über 90% importiert werden.
Exportchancen
Längerfristig könnte der Pfad des Blauen Wasserstoffs auch die Exportaussichten für die deutsche Wasserstoffbranche nachhaltig schmälern, da sie den Hochlauf der langfristig aussichtsreichsten Technologie der Elektrolyse über Grünstrom erst einmal verpasst.
Deutschlands Exportwirtschaft könnte beim globalen Hochlauf der Grünen Wasserstoffwirtschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Bei der Hydrolyse, bei der PEM-Elektrolyse, oder auch bei der Brennstoffzellentechnik sind deutsche Anbeiter weltweit führend.
Entlang der Wertschöpfungskette von der Elektrolyse bis H2-Einsatz haben sich über 100 deutsche Unternehmen positioniert. Bei den (Wasser-)Elektrolyseuren liegt der deutsche Weltmarktanteil derzeit bei 19%.
Die Unternehmen kommen aus unterschiedlichen Branchen: Dazu gehören größere Konzerne wie Automobilhersteller, Maschinen- und Anlagenbau sowie Industriegase, als auch spezialisierte Mittelständler im Bereich Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik oder Komponenten (Filter, Membranen, Ventile etc.) (Seelos 2020; Jensterle/Narita 2020)
Chinesische Hersteller haben eine starke Marktstellung bei Alkalischen Elektrolyseure (AEL), aber im zukunftsträchtigen Markt für PEM-Elektrolyseure dominieren westliche Firmen wie Hydrogenics, Nel oder McPhy. Auch Thyssen, Siemens oder Linde sind hier stark vertreten (Por 2020; Smolinka/Wiebe 2018).
Klar ist jedoch: Deutsche Firmen sind zwar Technologieführer in vielen Bereichen der Wasserstoffwirtschaft, aber am Beispiel der deutschen Solarindustrie wird deutlich, dass eine erfolgreiche Industriepolitik auch im eigenen Land für stabile Absatzchancen sorgen muss und sich nicht mit Pilotprojekten begnügen kann.

3.5.2 Systemnutzen
Elektrolyseure können eine wichtige Rolle für die Integrationsfähigkeit der Erneuerbaren Energien in das Energiesystem übernehmen.
Gemeinsam mit Batterien, Pumpspeicherkraftwerken, Laststeuerungsmaßnahmen und europäischem Stromaustausch stellen sie Flexibilitätsoptionen für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage bereit.
Elektrolyseure und Wasserstoffspeicher können Ungleichgewichte über einen langen Zeitraum hinweg ausgleichen: über Tage, Wochen und sogar saisonal.
Der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft kann also über den direkten Klimanutzen hinaus positive Effekte entfalten.
Das gilt allerdings nur bei einer flexiblen Fahrweise der Elektrolyseure. Hier verzichten die Anlagen auf den Dauerbetrieb, um auf Preissignale im Strommarkt reagieren zu können, also die Stromkosten zu senken.
Dieser Systemnutzen wächst bei steigenden Anteilen schwankender Solar- und Windstromerzeugung. Das wird in einer Strommarktsimulation deutlich sichtbar, in der stündliche Strommarktpreise modelliert werden.
Bei der Integration sehr hoher Mengen von Solar- und Windstrom ohne Elektrolyseure sinken die Erlöse erneuerbarer Energien am Strommarkt so weit, dass ein wirtschaftlicher Betrieb allein auf Basis von Markterlösen nicht mehr möglich ist. Weder Stromnachfrager noch ein kurzfristiger Strompeicher könnten den produzierbaren Strom absorbieren.
Der Strompreis sinkt in diesen Phasen auf null oder sogar in den negativen Bereich. Die Betreiber erneuerbarer Energien müssten ihre Anlagen abregeln.
Hier kommen die Elektrolyseure ins Spiel: Sie sind in ihrer Fahrweise grundsätzlich ausreichend flexibel, um mit ihrer gesamten installierten Leistung genau dann zusätzlich Strom nachzufragen, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Die erzeugten Brennstoffe können zudem gespeichert werden, falls die aktuelle Nachfrage nicht hoch genug sein sollte. Die deutschen Gasspeicher verfügen über mehr als ausreichende Kapazitäten, um diese Überschüsse aufzunehmen.
Systemnutzen in den Szenarien
Der Systemnutzen der Elektrolyseure wird beim Vergleich der Szenarien noch deutlicher.
Im Szenario „Beschleunigung“ verringern sich die Vermarktungswerte, also der durchschnittliche Erlös einer EE-Anlage, im Vergleich zum Szenario „Stated Policies“ nur geringfügig.
- Trotz der zusätzlichen Leistung von Windenergie-Anlagen von 31 GW (+44 %) im Jahr 2030 verringert sich der Vermarktungswert lediglich um 2,1 EUR/MWh (-5%).
- Bei der Photovoltaik ergeben sich trotz der um 29 GW erhöhten Leistung (+30 %) sogar um 1 EUR/MWh (+2%) höhere Vermarktungswerte.
Dieser Effekt entsteht durch die um 30 GW höhere Elektrolyseleistung, die im Szenario „Beschleunigung“ unterstellt wird.
Regionale Dimension
Hinzu kommt die regionale Dimension des Systemnutzens. Der heutige Strommarkt geht vereinfachend davon aus, Strom könne im Marktgebiet Deutschland ungehindert fließen.
Die seit Jahren hohen Mengen für Redispatching und Einspeisemangement, also die Eingriffe der Netzbetreiber in die Stromproduktion von Kraftwerken, zeigen jedoch, dass sich die Realität weit von dieser “fiktiven Kupferplatte” entfernt hat.
Elektrolyseure in der Region könnten diese Eingriffe minimieren. Lokale Erzeugungsspitzen werden auf diese Weise markt- und netzdienlich lokal eingesetzt.
3.5.3 Importe oder inländische Produktion?
Verfügbarkeit und Kosten
Bis zum Jahr 2030 sind keine nennenswerten Importmöglichkeiten für Grünen oder Blauen Wasserstoff oder auch für die daraus produzierte PtX-Produkte in Sicht.
Das Potenzial steigt nur langsam, da zunächst der Eigenbedarf der potenziellen Exportländer durch Grünstrom gedeckt wird, was von Brüssel und Berlin politisch auch so erwünscht ist.
Mögliche Projekte in Nordafrika müssten zunächst die nationale Stromversorgung dekarbonisieren, bevor der Export von Wasserstoff in die EU klimapolitisch sinnvoll wird.
Auch die großen europäischen Projekte in den Niederlanden und Großbritannien stellen den Wasserstoff für den regionalen Eigenbedarf her.
Großprojekte in häufig diskutierten Exportregionen ohne großen Eigenbedarf kommen erfahrungsgemäß nur sehr langsam voran. Technisch vergleichbare Raffinerieprojekte oder auch nur Windstrom- bzw. Solarprojekte bleiben oftmals jahrelang im bürokratischen und politischen Dickicht stecken. Auch Fragen des Local Content, also der Einbindung lokaler Lieferanten und Arbeitskräfte, können Projekte in die Länge ziehen.
Selbst wenn die Projekte realisiert werden sollten, stehen die Wasserstoff- oder PtX-Exporte erst einmal dem gesamten Weltmarkt zur Verfügung. Es ist unklar, wie hoch der Anteil deutschen Importe sein kann.
Für Australien liegt ohnehin der asiatische Markt sehr viel näher. Dorthin bestehen im Bereich Flüssiggas (LNG) und Kohle jahrzehntealte, eingefahrene Geschäftsbeziehungen.
Nordafrika
Auch sollte das Potenzial der Regionen nicht überschätzt werden. So können beispielsweise Marokko und Tunesien unter Berücksichtigung der Flächen- und Standortrestriktionen zusammen maximal nur 400 TWh Wasserstoff liefern.
Selbst bei einem vollständigen Ausbau könnten diese Länder langfristig nur einen Teil des europäischen Bedarfs decken (Hebling/Ragwitz 2019).
Südamerika
Naturräumlich noch stärker begünstige Standorte in Südamerika oder im südlichen Afrika wiederum hätten hohe Transportkosten – und zusätzliche potenzielle Kunden.
Fraunhofer-Institute schätzt die Importkosten Richtung Deutschland aus diesen Teilen der Welt auf 90-120 €/MWh Wasserstoff und damit letztlich auf ein ähnliches Kostenniveau wie Schiffstransporte aus Nordafrika.
Grüner Wasserstoff und Blauer Wasserstoff könnten in Deutschland bis dahin deutlich günstiger hergestellt werden (Hebling/Ragwitz 2019).
Australien
Selbst der Transport von flüssigem Wasserstoff aus Australien nach Japan verursacht hohe Kosten. Australische Studien (CSIRO) sprechen im günstigsten Fall von umgerechnet 54 $/MWh H2 allein für die Verflüssigung. Hinzu kommen etwa 21 $/MWh für den Tankertransport. Zusammen liegen diese Kosten aktuell also höher als die Herstellungskosten von Grünem Wasserstoff in Australien (Por 2020).
Ammoniak
Die oft zitierte Konversion von Wasserstoff zu Ammoniak wäre zwar relativ billig und mit geringem Energieaufwand möglich, aber die Rückkonversion von Ammoniak zu Wasserstoff ist teuer und energieaufwendig.
Insofern eignen sich Konversionsanlagen eher dazu, Ammoniak als Schiffstreibstoff zu verwenden. Der Einsatz in Deutschland Zielland wäre jedoch im Moment nur in eng begrenzten Sektoren möglich. Dennoch bestehen hier einige Potenziale, wenn sich die Nachfrageseite technisch anpasst.
Kapitalkosten vs Standortvorteile
In vielen Ländern erhöhen politische und rechtliche Risiken, Infrastrukturengpässe aller Art und nicht zuletzt die Kapitalkosten (WACC) die Kosten der Wasserstoffproduktion.
So können z.B. Solarstromanlagen in Westeuropa oftmals günstiger errichtet werden als in vielen außereuropäischen Regionen, da die Finanzierungskosten in Deutschland erheblich niedriger sind. Schon innerhalb Europas zeigen sich deutliche Unterschiede (vgl. hierzu Heinemann/Kasten 2019, Frankfurt School-UNEP / BNEF 2020, Michalski/Altmann 2019).
Ein Rechenbeispiel für PtX-Diesel in Nordafrika zeigt, dass die Herstellungskosten um rund 30% steigen, wenn die Kapitalkosten von 6 % auf 12 % steigen (Heinemann/Kasten 2019).
Viele Studien erwarten daher auch langfristig relativ hohe Importkosten, die auf einer Ebene mit inländischen Produktionskosten oder sogar darüber liegen werden.
Die angekündigte staatliche Unterstützung in Deutschland und der EU für den Markthochlauf von Elektrolyseuren und die dazugehörigen EE-Stromanlagen könnte diesen Abstand bei den Kapitalkosten weiter erhöhen.
Versorgungsrisiken, Preisrisiken und außenpolitische Abhängigkeiten
Ähnlich wie bei Erdöl wachsen bei hohen H2-/PtX-Importen die außenpolitischen Abhängigkeiten. Doch anders als bei Öl bewegen sich die Importeure hier in einem knappen Weltmarkt, der noch keine festen Strukturen hat.
Die EU und Deutschland vergeben damit die Chance, die Energieversorgung von riskanten außenpolitischen Abhängigkeiten zu befreien, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder zu moralisch zweifelhaften außenpolitischen Koalitionen geführt hat.
Hinzu kommt die Dringlichkeit bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft. Sollten Lieferanten in Übersee mit dem Ausbau ihrer Kapazitäten nicht schnell genug vorankommen, könnten dadurch schlagartig die deutschen Klimaziele unerreichbar werden.
Schließlich müssen die ggf. starken Abweichungen zwischen den Gestehungskosten und den Weltmarktpreisen beachtet werden, wie sie z.B. im Ölmarkt bei Versorgungsproblemen immer wieder zu beobachten waren. Kartelle oder Oligopole könnten sich insbesondere dann herausbilden, wenn die PtX-Produktion auf wenige Länder konzentriert ist.
Bei einer Produktion im Inland stellen sich diese Probleme kaum, da bessere rechtliche und politische Instrumente zur Verfügung stehen.
Zudem steigt die Verhandlungsmacht der deutschen Wasserstoffimporteure, wenn ein funktionierender europäischer Wasserstoffmarkt aussagefähige Preissignale und alternative Bezugsquellen bereitstellt.
Carbon Governance
Ein weiteres Problem der Importabhängigkeit ist Carbon Leakage und das Emissionsproblem generell.
Der Einfluss der EU auf den Emissonsschutz und Produktionsverfahren in fernen Exportländern ist gering, solange der globale Wasserstoffmarkt ein Verkäufermarkt ist, also eine generelle Knappheit an Grünem oder Blauem Wasserstoff herrscht.
Deutsche Stahlwerke oder Chemiefirmen müssten in dieser Situation auch zweifelhafte Importe akzeptieren, um ihre Produktion aufrechtzuerhalten. Diese Risiken entfallen, wenn Grünstrom und Grüner Wasserstoff im Inland produziert werden.
Vorteile von Importen
Ein Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, die zwar die Nachfrage stimuliert, aber sich beim Angebot auf Importe stützt, hätte neben den genannten Nachteilen auch eine Reihe von Vorteilen.
Zum einen entfällt die Notwendigkeit, das Angebot an Solar- und Windstrom im Inland mit enormer Geschwindigkeit und gegen viele politische Widerstände auszubauen.
Die vollständige Dekarbonisierung des Strommixes wäre schneller erreichbar, wenn nur die klassischen Abnehmer und die neuen Sektoren (Elektromobilität, Wärmepumpen etc.) zu versorgen wären.
Ein weiteres Argument ist der Umstand, dass Importe langfristig ohnehin notwendig werden. Denn aus heutiger Sicht ist es unrealistisch anzunehmen, bis 2040 oder 2050 an die 500 TWh Grünen oder Blauen Wasserstoff allein aus heimischer Produktion zu erwarten.
Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Exportchancen
Wie bereits in den Vorkapiteln beschrieben, wären die inländische Wertschöpfung, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und auch die Exportchancen begrenzt, wenn sich der Wasserstoffbedarf in Deutschland nur auf Importe stützen sollte.
Die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung bezieht hier klar Stellung: „Deutschland will sich als Leitanbieter für grüne Wasserstofftechnologien am Weltmarkt positionie-ren.“ Das wird jedoch kaum gelingen, wenn die Wasserstoff- und PtX-Produkte, ähnlich wie mittlerweile in der Solarwirtschaft, fast vollständig importiert werden.
Das gilt auch für den Systemnutzen. Da ohne Elektrolyseure Flexibilisierungsoptionen entfallen, müsste die gesicherte Leistung durch regelbare Kraftwerke oder Stromspeicher höher angesetzt werden, wenn Wasserstoff importiert wird.