Worum geht es in dieser Studie?

Das Thema Wasserstoff hat trotz der Pandemie weiter an Fahrt aufgenommen. Die EU und zahlreiche Staaten haben in den letzten Monaten Wasserstoffstrategien entwickelt, darunter auch Deutschland.

Doch nun stellen sich neue Fragen. Wie soll der Markthochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft ablaufen? Was gilt es zu beachten, damit der Klimaschutz maximiert und die Kosten minimiert werden?

Die folgende Studie will einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen leisten. Sie konzentriert sich dabei auf drei Aspekte:

1. Grüner Wasserstoff oder Blauer Wasserstoff? Wie schneiden die beiden Pfade beim Klimaschutz und bei den Kosten ab?

2. Wie sollten die Elektrolyseure eingesetzt werden? Welches Hochlaufszenario verspricht die besten Ergebnisse?

3. Welche Sektoren sollten mit Wasserstoff versorgt werden?

Nach einem einleitenden Überblick (Kap.1) werden die Kosten und Emissionen des Grünen Wasserstoffs anhand von Szenarien des Strommarktes und der Wasserstoffproduktion bis zum Jahr 2040 ermittelt (Kap.2).

Diese Ergebnisse werden anschließend mit dem Pfad einer Blauen Wasserstoffwirtschaft verglichen (Kap.3).

Im nächsten Schritt werden diese Ergebnisse im Kontext des Wasserstoffbedarfs in nationalen Strategien und Klimaschutzstudien vorgestellt (Kap.4).

Die Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen finden Sie hier im folgenden Text.

Wasserstoff und Klimaschutz

Ausgangspunkt dieser Wasserstoffstudie ist die These, dass der Markthochlauf einer Wasserstoffwirtschaft nur im Rahmen einer umfassenden Klimaschutzstrategie bewertet werden kann.

Wasserstoff ist kein Allheilmittel der Energiewende. Es gibt mehrere Pfade, die grundsätzlich überlegen sind, sowohl in Aspekten des Klimaschutzes wie auch der Kosten.

1. Der optimale, obgleich steinige Pfad wäre die Suffizienz. Ein Wertewandel in der Gesellschaft könnte neu definieren, was ein erstrebenswerter Konsum und ein akzeptables Verhalten vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels sein sollte. Schlagworte wie „Flugscham“, neu erlernte Arbeitsweisen im Homeoffice oder auch die Berücksichtigung der Klimabilanz bei Ernährung, Kleidung und Mobilität wären Wege, die Energienachfrage und die Emissionen zu senken.

Wer die Dekarbonisierung rasch verwirklichen will, braucht auch Elemente einer Suffizienz, die nicht vereinbar ist mit Billigflügen und einer Wegwerfgesellschaft.

2. An zweiter Stelle sollte die Effizienz stehen, also die Minimierung des Energie- und Materialaufwands durch verbesserte oder neue Verfahren und Produkte. Dazu gehört etwa die Erhöhung der Recyclingquoten im Stahlbereich, die auch den Wasserstoffbedarf für Grünen Stahl verringern könnte. Oder die rasche Sanierung von Altbauten, die den Wärmebedarf über Jahrzehnte hinaus senkt.

3. Wo immer machbar, sollte die Elektrifizierung des Energieangebots an dritter Stelle stehen. Batterien in Elektroautos haben einen dreifach höheren Wirkungsgrad als Benzin- oder Dieselmotoren, einen doppelt so hohen Wirkungsgrad wie Brennstoffzellenantriebe und einen sechsmal höheren Wirkungsgrad als PKW, die mit aufwendig produzierten Power-fuels (PtX) angetrieben werden. Vergleichbares gilt für elektrische Wärmepumpen, die aus 1 Kilowattstunde Strom 3-4 Kilowattstunden Wärme bereitstellen können. 

Diese drei Schritte zusammen könnten den Primär- und Endenergiebedarf deutlich senken. Studien gehen von einem langfristigen Einsparpotenzial bei der Primärenergie von 50% aus. 

4. Erst an vierter Stelle sollten klimaschonende Brenn- und Kraftstoffe eingesetzt werden, also Wasserstoff und darauf basierende PtX-Produkte (Power-to-X, Powerfuels).

Wasserstoff darf dabei jedoch nicht zum Vehikel für die Verlängerung fossiler Pfade oder für das Ausbremsen neuer Pfade wie der Elektromobilität werden. Ein extremes Beispiel wird derzeit in Kanada sichtbar, wo Ölsandkonzerne ihre Produktion durch den Einsatz von Wasserstoff ausweiten wollen (Reuters 2020). Aber auch hierzulande sollten Wasserstoff und Batterien nicht gegeneinander ausgespielt werden, um die Zukunft des Verbrennungsmotors im PKW-Markt zu retten.

Die Achillesfersen der Grünen und Blauen Wasserstoffwirtschaft 

1. Elektrolyse-Wasserstoff ist nur dann klimapolitisch sinnvoll, wenn Strom aus Erneuerbaren Energien (Grünstrom) verfügbar ist.

Der rasche Ausbau von Wind- und Solarstrom sowie von Grünem Wasserstoff müssen Hand in Hand gehen. Dabei sollte die Grünstrommenge sogar deutlich schneller wachsen als der Bedarf der Elektrolyseure, damit der Strommix auch in anderen Nachfragesektoren rasch dekarbonisiert werden kann.

2. Blauer Wasserstoff ist zwingend auf große Speicherkapazitäten für das Treibhausgas angewiesen. 

Diese Kapazitäten sind jedoch für deutsche Wasserstoffproduzenten nicht in Sicht. Zwar bietet die Nordsee Lagerstätten in alten Gasfeldern oder tiefen salinen Formationen, aber die Projekte, die jetzt anlaufen, werden fast ausschließlich von den Anrainerstaaten, also den Niederlanden, Großbritannien und Norwegen, für die eigene Industrie benötigt.

3. Blauer Wasserstoff ermöglicht zudem keine umfassende Dekarbonisierung. In der Erdgas-Lieferkette entstehen schon vor der Wasserstoffproduktion erhebliche CO2- und Methanemissionen. Zudem können die SMR-/ATR-Anlagen das CO2 nicht vollständig abspalten.

4. Der Import von Wasserstoff oder Powerfuels (Power-to-Liquids) scheint die Probleme in Deutschland zu lösen. Doch tatsächlich werden die Schwachstellen lediglich ins Ausland verlagert. 

Beim Erdgas ist es in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen, die Abfackelung von Gas (Flaring) oder den Methanschlupf (Venting) nennenswert zu reduzieren. Dasselbe Kontrollproblem stellt sich bei den Anlagen für die Abscheidung und Einspeicherung von CO2.

Es könnte also Jahrzehnte dauern, bevor ausreichende Importmengen zur Verfügung stehen. Es wäre zudem ein globales Nullsummenspiel, wenn die Dekarbonisierung in Deutschland den Klimaschutz in den Lieferländern ausbremsen sollte.

Markthochlauf: Die Szenarien

Auf Basis einer Strommarktsimulation sowie einer Simulation verschiedener Fahrweisen der Elektrolyseure bis 2040 werden die Konsequenzen mehrerer Szenarien untersucht.

Referenzszenario Stated Policies
In diesem Szenario folgt der Hochlauf den erklärten staatlichen Zielen im Bereich Grüner Wasserstoff und Energiewende im Strommarkt.
 

Szenario Failed Policies
Das Szenario spiegelt die aktuelle Lage wider. Im Unterschied zum Referenzszenario verläuft der Ausbau der Solar- und Windstromanlagen hier nur sehr schleppend. Der Hochlauf beim Grünen Wasserstoff erfolgt mit derselben Geschwindigkeit wie im Referenzszenario.

Szenario Beschleunigung – kostenoptimiert
Hier gelingt es, das Solar- und Windstromangebot sehr rasch auszubauen. Entsprechend schnell kann der Hochlauf beim Grünen Wasserstoff erfolgen. Die Elektrolyseure orientieren ihre Fahrweise kostenoptimiert am Angebot an günstigem Solar- und Windstrom.

Szenariovariante Beschleunigung – bedarfsorientiert
In einer Variante wird angenommen, dass ein Teil der Elektrolyseure direkt große Verbraucher versorgt, etwa in der Chemie- oder Stahlbranche. Das erfordert eine bedarfsorientierte Fahrweise mit hohen Volllaststunden, unabhängig vom gerade herrschenden Strompreis.

Szenariovariante Beschleunigung – Mix
In diesem Mischszenario werden die beiden eben genannten Optionen kombiniert; also zum größeren Teil Elektrolyseure mit kostenoptimierter Fahrweise und zum kleineren Teil Elektrolyseure, die bedarfsorientiert produzieren.

Das Vergleichsszenario – Blauer Wasserstoff/Blaugrauer Wasserstoff

In diesem Szenario werden Kosten und Emissionen unter der Annahme ermittelt, dass der Wasserstoff in Deutschland in Anlagen für Blauen Wasserstoff produziert wird. Dabei werden zwei Varianten unterschieden:

  • In der optimierten Variante wird unterstellt, dass ausreichende CCS-Kapazitäten für deutsche CO2-Exporteure zur Verfügung stehen. 
  • In der realistischeren Variante wird angenommen, dass nur ein Teil des CO2 eingelagert werden kann. Wasserstoffproduzenten, denen keine Speichermöglichkeiten zur Verfügung stehen, müssten das CO2 wie bisher in die Atmosphäre entlassen (Grauer Wasserstoff). In dieser Mischvariante wird aus dem Blauen ein Graublauer Wasserstoff.

Die Fahrweise der Elektrolyseure 

Eine besondere Rolle spielt in den Szenarien die Fahrweise der Elektrolyseure. Sie kann an die Nachfrage großer Industriekunden oder an das  schwankende Angebot an günstigem (Überschuss-)Grünstrom angepasst werden.

Raffinerien, Chemieanlagen oder Stahlwerke können nicht kurzfristig auf Kostensignale des Strommarktes reagieren und im Stundentakt hoch- oder herunterfahren. Der Dauerbetrieb erfordert ein entsprechend stabiles Wasserstoffangebot der Elektrolyseure. Alternativ wäre der Bau von Wasserstoffspeichern eine Option, um Angebotslücken zu schließen, die bei einer flexiblen Fahrweise der Elektrolyseure entstehen.

Eine hohe Auslastung der Elektrolyseure senkt zwar ihre spezifischen Investitionskosten, aber auf der anderen Seite steigen die Stromkosten und die CO2-Emissionen des Strombezugs, da nicht mehr flexibel reagiert werden kann.

Wenn der Strommix nach 2030 vollständig dekarbonisiert ist, entfällt der Emissionsvorteil der flexbilen Fahrweise. Dafür schrumpft aber auch der Kostenvorteil der hohen Auslastung. Modellierungen machen deutlich, dass bei geringen Kapitalkosten unter 400€/kW die Auslastung der Elektrolyseure nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.

Zweischneidig ist die Idee, große Elektrolyseanlagen in der Nähe von Offshore-Windparks aufzubauen. Durch diesen Produktionsverbund wird der dritte Schritt vor dem ersten gemacht, denn der Windstrom sollte zunächst für die Dekarbonisierung des Strommixes zur Verfügung stehen. 

Die Wasserstoffmengen 

Die folgende Abbildung zeigt, welche Wasserstoffmengen in den Szenarien erzeugt werden.

Das Volumen ergibt sich im ersten Szenario (Stated Policies) und im zweiten Szenario (Failed Policies) aus den Zielen der Nationalen Wasserstoffstrategie.

Im Szenario Beschleunigung (kostenoptimiert) ist der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft erheblich schneller. Möglich wird das durch den sehr raschen Ausbau des Wind- und Solarstroms.

Im Szenario Mix ist das Tempo noch höher, da ein Teil der Elektrolyseure für Großverbraucher mit sehr hoher Auslastung arbeitet.

Je nach Szenario könnte die Wasserstoffproduktion im Jahr 2040 also bei 27,6 TWh oder bei 270,4 TWh liegen. Wenn der Ausbau der Solar- und Windstromanlagen nicht beschleunigt wird, kann nur der untere Wert erreicht werden. Das läge klar unter den Zielwerten der Nationalen Wasserstoffstrategie und der Klimaschutzziele.

Grüner Wasserstoff: Kosten

Wie teuer wird die Produktion von Grünem Wasserstoff, wenn die Elektrolyseure kostendeckend arbeiten sollen? Die folgenden Resultate berücksichtigen die Stromkosten und die Investitionskosten für den Bau der Elektrolyseure. Je nach Szenario ergeben sich dabei unterschiedliche Gesamtkosten und Kostenstrukturen.

Im Referenzszenario (Stated Policies) liegen die Kosten zunächst bei 44,2 €/MWh (vgl. Abb. unten). Sie steigen bis 2040 auf 56,5 €/MWh, da der geplante Ausbau der Grünstrommengen nicht mit den Wasserstoffzielen Berlins Schritt hält. Günstiger Grünstrom wird knapper.

Im Szenario Failed Policies, das den langsamen Ausbau des Grünstroms aus den letzten Jahren fortschreibt, lässt der Mangel an günstigem Solar- und Windstrom die Wasserstoffkosten noch steiler von 45 €/MWh auf 92,8 €/MWh klettern.

Im Szenario Beschleunigung fallen die Wasserstoffkosten hingegen nach 2030 drastisch von zunächst 44,5 €/MWh auf nur noch 7,2 €/MWh im Jahr 2040.

Das gilt jedoch nur bei einer flexiblen, kostenoptimieren Fahrweise der Elektrolyseure. Bei Großelektrolyseuren, die bedarfsorientiert fast das ganze Jahr produzieren, bleiben die Wasserstoffkosten auf einem hohen Niveau.

Grüner Wasserstoff: Emissionen 

Die spezifischen Emissionen für die Herstellung von Grünem Wasserstoff starten im Referenzszenario bei 0,30 tCO2/MWh_H2 (2025) und fallen schrittweise auf 0,07 tCO2/MWh_H2 (2040).

Im Szenario Failed Policies fehlt es an EE-Strom, so dass die Emissionen auf einem höheren Niveau starten. Im Jahr 2025 liegen sie bei 0,36 tCO2/MWh_H2, also nicht weit unter den Emissionen eines fossilen Erdgaskraftwerks. Sie sinken dann auf 0,13 tCO2/MWh_H2 bis zum Jahr 2040.

Das Szenario Beschleunigung zeigt die besten Emissionswerte. Bei kostenoptimierter Fahrweise beziehen die Elektrolyseure ihren Strom aus Erneuerbaren Energien oder aus der Rückverstromung von Wasserstoff in Erdgaskraftwerken. Die Emissionen starten schon 2025 auf einem relativ niedrigen Niveau und fallen bis Mitte der 30er Jahre auf Null.

Wenn die Gaskraftwerke übergangsweise immer noch fossiles Erdgas verstromen, sinken die Emissionen der Wasserstoffproduktion entsprechend langsamer.

Die Emissionen einer bedarfsorientierten Fahrweise der Elektrolyseure für Großverbraucher in Chemie oder Stahl liegen aufgrund der besseren Auslastung der Anlagen deutlich höher. Sie starten ähnlich wie im Szenario Failed Policies bei 0,36 tCO2/MWh_H2 und fallen dann erst in den 2030er Jahren auf 0,07 tCO2/MWh_H2.

Vergleich: Grüner vs Blauer Wasserstoff

Kostenvergleich

Die in der Literatur angeführten Kosten für Blauen Wasserstoff beziehen sich häufig auf bereits bestehende, ausgelastete und weitgehend abgeschriebene SMR-Anlagen, die optimiert im Produktionsverbund von Raffinerien oder großen Chemiekomplexen arbeiten.

Wie bei den Elektrolyseuren für Grünen Wasserstoff werden in dieser Studie jedoch die Kosten für Neuanlagen betrachtet, denn ein Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland wäre mit den vorhandenen Anlagen nicht zu bewerkstelligen. Die damit verbundenen Unsicherheiten bei der Kostenschätzung zeigen wir im Schaubild mit einer breiten Kostenspannbreite.

Insgesamt zeigen die Zahlen: Bei einem Hochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft wäre Grüner Wasserstoff schon 2025 wettbewerbsfähig und anschließend günstiger als Blauer Wasserstoff. 

Nur im Szenario Failed Policies, also bei einem verzögerten Ausbau von Solar- und Windanlagen, steigen die Kosten für Grünen Wasserstoff bis 2040 über die Kosten von Blauem Wasserstoff hinaus.

Auch die Variante der bedarfsorientierten Fahrweise für industrielle Großverbraucher weist im Zeitverlauf relativ hohe Kosten auf, die bis 2040 nicht unter den Ausgangswert von 2025 fallen können.

Mit Abstand die beste Kostenperformance zeigt das Szenario Beschleunigung mit kostenoptimierter Fahrweise. Der Strommarkt hat hier insbesondere nach 2030 ein hohes Angebot an günstigem Grünstrom, das von den Elektrolyseuren genutzt wird. 

Die Kosten für Grünen Wasserstoff sinken daher im kommenden Jahrzehnt auf einen Bruchteil der Kosten für Blauen Wasserstoff. 

Emissionsvergleich

Wir unterstellen für diesen Vergleich den Neubau einer modernen ATR-Wasserstoffanlage mit CCS und lassen die bestehenden, recht alten SMR-Anlagen in den Raffinerien außer Betracht. 

Die ATR-Anlage spaltet in unserem Szenario 90% der produktionsbedingten CO2-Emissionen ab, die anschließend z.B. in alten Gasfeldern in der Nordsee eingespeichert werden. 

Hinzu kommen die Emissionen in der Vorkette der Erdgasbeschaffung, also insbesondere das durchschnittliche Abfackeln von Erdgas  (Flaring) und Methanschlupf (Venting), sowie die Emissionen, die beim Transport von Erdgas über Pipelines oder LNG-Tanker entstehen. 

Die steigenden CO2-Preise werden auch bei den Produzenten von Blauem Wasserstoff und den Erdgaslieferanten Anpassungsprozesse auslösen. Wir nehmen daher an, dass die Emissionen der ATR-Anlagen sowie die Emissionen der CCS-Prozesse bis 2040 halbiert werden. 

Auch unterstellen wir, dass die Vorkettenemissionen bis 2040 halbiert werden. Das ist zweifellos eine optimistische Annahme, da z.B. der Umfang der Methanemissionen bei der Öl- und Gasförderung erst allmählich in seinen Dimensionen aufgedeckt wird.

Insgesamt fallen durch diese möglichen Anpassungen die CO2-Emissionen bei der Herstellung von Blauem Wasserstoff in Europa von 0,14 tCO2/MWh_H2 (Tonnen CO2 je Megawattstunde Wasserstoff) im Jahr 2025 auf 0,06 tCO2/MWh_H2 im Jahr 2040. Das setzt natürlich voraus, dass geeignete CCS-Lagerstätten überhaupt vorhanden und verfügbar sind. Sollte die Nachfrage nach CO2-Speichern steil anziehen, besteht das Risiko, dass für die langwierige Prüfung der Lagerstätten nicht ausreichend Zeit bleibt und auch weniger geeignete Standorte genehmigt werden.

Der Vergleich zeigt, dass im Stichjahr 2025 wie auch in den Folgejahren Grauer Wasserstoff die höchsten Emissionen aufweist. Zum Vergleich: Der Wert von 0,40 tCO2/MWh_H2 ist doppelt so hoch wie bei der direkten Verbrennung von Erdgas. Grauer Wasserstoff kann also nicht zur Lösung der klimapolitischen Probleme beitragen.

Im Stichjahr 2025 liegen auch die Emissionen von Grünem Wasserstoff noch sehr hoch. Mit je nach Szenario 0,19-0,36 tCO2/MWh_H2 rangieren sie nur leicht unter Blauem Wasserstoff. 

Mit der fortschreitenden Dekarbonisierung des Strommixes sinken die Emissionen jedoch in den Folgejahren.

Am besten schneidet das Szenario Beschleunigung (kostenoptimierte Fahrweise) ab. In den 2030er-Jahren sinken die Emissionen auf Null.

Das gelingt in der Beschleunigungs-Variante mit bedarfsorientiert produzierenden Großelektrolyseuren für die Industrie nicht. Hier bleiben die Emissionen auf einem ähnlichen Niveau wie im Referenzszenario.

Der Pfad des Blauen Wasserstoffs emittiert also unter optimalen Bedingungen in den 2020er-Jahren weniger CO2 als Grüner Wasserstoff. 

In den 2030er-Jahren wird er vom Grünen Wasserstoff im Beschleunigungs-Szenario überholt. Die übrigen Szenarien für Grünen Wasserstoff ziehen bei den Emissionen im Jahr 2040 gleich. 

Die Verfügbarkeit von CCS – Die Achillesferse des Blauen Wasserstoffs 

Ohne CCS kein Blauer Wasserstoff: Der Ausbau der SMR/ATR-Anlagen und der CO2-Speicher muss gleichzeitig erfolgen, denn andernfalls muss das CO2 wie bei Grauem Wasserstoff in die Atmosphäre entlassen werden. 

Aus klimapolitischer Sicht sollten die knappen CCS-Speichermöglichkeiten jedoch für Anwendungen reserviert bleiben, in denen keine technischen Alternativen zur Verfügung stehen. 

Die Lagerstätten stehen nur ein Mal zur Verfügung: Wenn CO2-Emissionen der Wasserstoffproduktion knappe Speicherkapazitäten blockieren sollten, die zu einem späteren Zeitpunkt für negative Emissionsverfahren (BECCS, DAC) notwendig werden, dann hätten die Verfahren des Blauen Wasserstoffs keinerlei Emissionsvorteile gegenüber dem traditionellen Verfahren.  

Doch selbst wenn CCS-Lagerstätten für Emissionen der Wasserstoffproduktion zur Verfügung stehen sollen, wird es zu erheblichen Engpässen kommen. 

In Europa gibt es derzeit 10 große CCS-Projekte, die bis 2035 in Betrieb gehen könnten, vor allem in der Nordsee. Davon befinden sich 80% in britischen Gewässern und sind für britische CO2-Emittenten vorgesehen. Der Ausbau bewegt sich im Bereich weniger Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.

Für die deutsche Wasserstoffwirtschaft bedeutet das, dass für den Pfad des Blauen Wasserstoffs zumindest bis 2030 keine nennenswerten CCS-Kapazitäten in der Nordsee zur Verfügung stehen werden.

Dadurch wird der errechnete Emissionsvorteil von Blauem Wasserstoff in den 20er-Jahren eine nur noch theoretische Größe. Der Mangel an CCS-Kapazitäten verhindert den Übergang von Grauem zu Blauem Wasserstoff.

Der Speicherbedarf eines Hochlaufpfades mit Blauem Wasserstoff liegt schon 2030 bei 3,2 bis 30,5 Mio.t CO2 pro Jahr. Im Jahr 2040 wären es 8,3 bis 81,1 Mio.t (vgl. Abb. nächste Seite).

Diesem Bedarf stehen im Moment praktisch überhaupt keine nennenswerten Speicherkapazitäten gegenüber. Bis 2025 könnten maximal 1 Mio.t eingelagert werden.

Blauer Wasserstoff, der in Deutschland hergestellt wird, steht damit vor einem Problem, für das sich in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten keine Lösung abzeichnet. 

Das Schaubild auf der nächsten Seite veranschaulicht, wie sich die Emissionsbilanz für Blauen Wasserstoffs entwickeln könnte, wenn nur eingeschränkt CCS-Kapazitäten zur Verfügung stehen.

Nimmt man (noch immer sehr optimistisch) an, dass für die Hälfte der Produktionsmengen CO2-Speicher vorhanden sind, dann schwindet der Emissionsvorteil des Blauen Wasserstoffs gegenüber allen Varianten des Grünen Wasserstoff schon in wenigen Jahren

Die Emissionen der Wasserstoffproduktion fallen in diesem Fall von 0,27 tCO2/MWh_H2 im Jahr 2025 nur leicht auf 0,21 tCO2/MWh_H2 im Jahr 2040 (vgl. Abb. nächste Seite).

Die Klimabelastung wäre dann drei Mal so hoch wie im grünen Referenzszenario (Stated Policies) und im kommenden Jahrzehnt sogar höher als im grünen Negativszenario (Failed Policies). Selbst ein langsamer Hochlauf von Grünem Wasserstoff wäre also klimapolitisch unter dem Strich besser als ein schneller Hochlauf von Blauem Wasserstoff.

Volkswirtschaftliche Effekte

Wertschöpfung: Grüner Wasserstoff 

Der Hochlauf einer Grünen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland samt der dazugehörigen Stromerzeuger hätte erhebliche Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzeffekte, da ein großer Teil der Wertschöpfungsschritte im Inland stattfindet. 

Studien (vgl. Kap. 3.5 ab S.62) schätzen den Wertschöpfungseffekt langfristig auf 32-49 Mrd. Euro pro Jahr. Davon entfallen etwa 70% auf die Stromerzeuger, die für die Elektrolyseure gebaut werden müssten.

Importsubstitution in den Szenarien für Grünen Wasserstoff 

Das Szenario „Beschleunigung“ schneidet in dieser Kategorie am besten ab. Gegenüber dem Szenario „Stated Policies“ werden im Jahr 2040 zusätzliche 200 TWh Wasserstoff im Inland produziert. Die Importkosten fallen dadurch um 12 bis 18 Mrd. EUR jährlich. 

Blauer vs Grüner Wasserstoff 

Beim Technologiepfad Blauer Wasserstoff findet ebenfalls der Bau der Wasserstoffanlagen in Deutschland statt. Anstelle der Elektrolyseure werden in diesem Szenario zusätzliche SMR- oder ATR-Anlagen auf Basis von Erdgas errichtet. Ein großer Teil der notwendigen CCS-Infrastruktur wie Pipelines und Speicher befinden sich jedoch im britischen und norwegischen Sektor der Nordsee. 

Auch muss fast das gesamte Erdgas für die Blaue Wasserstoffproduktion importiert werden. Noch wahrscheinlicher wäre jedoch, dass auf lange Sicht importierter Grüner Wasserstoff aus dem EU-Ausland teuren Blauen Wasserstoff aus deutscher Produktion verdrängt.

Exportchancen

Deutschlands Exportwirtschaft könnte beim globalen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Bei vielen Komponenten und Prozessen sind deutsche Anbeiter weltweit führend. Am Beispiel der Solarindustrie wurde allerdings deutlich, dass auch im Heimatmarkt stabile Absatzchancen vorhanden sein müssen. Pilotprojekte werden nicht genügen.

Systemnutzen für die Stromversorgung

Elektrolyseure und Wasserstoffspeicher können Ungleichgewichte im Stromdargebot über einen langen Zeitraum hinweg ausgleichen: über Tage, Wochen und sogar saisonal. 

Das gilt allerdings nur bei einer flexiblen Fahrweise der Elektrolyseure. Dieser Systemnutzen wächst bei steigenden Anteilen schwankender Solar- und Windstromerzeugung.

Hinzu kommt die regionale Dimension des Systemnutzens. Elektrolyseure könnten den Bedarf an Redispatching und das Einspeisemangement, also die Eingriffe der Netzbetreiber in die Stromproduktion von Kraftwerken, minimieren. Lokale Erzeugungsspitzen werden auf diese Weise markt- und netzdienlich lokal eingesetzt.

Importe oder Produktion im Inland?

Verfügbarkeit von H2/PtX-Importen

Bis zum Jahr 2030 sind keine nennenswerten Importmöglichkeiten für Grünen oder Blauen Wasserstoff bzw. daraus produzierte PtX-Produkte in Sicht. Das Potenzial wird auch danach nur langsam wachsen, da zunächst der Eigenbedarf der potenziellen Exportländer durch Grünstrom oder durch Wasserstoff gedeckt wird. 

Die großen europäischen Wasserstoffprojekte in den Niederlanden und Großbritannien stellen den Wasserstoff für den regionalen Eigenbedarf her. Mögliche Projekte in Nordafrika müssten zunächst die nationale Stromversorgung dekarbonisieren, bevor die Produktion von Wasserstoff klimapolitisch sinnvoll wird. 

Zudem entfällt bei Importen ein großer Teil der Wertschöpfung und Arbeitsplatzeffekte in Deutschland. Dasselbe gilt für den Systemnutzen von Elektrolyseuren. Da ohne Elektrolyseure keine Flexibilisierungsoptionen im Stromnetz entstehen, müsste die gesicherte Leistung durch regelbare Kraftwerke oder Stromspeicher ausgebaut werden.

Importrisiken

Ähnlich wie im Ölmarkt wachsen auch bei hohen H2-/PtX-Importen die außenpolitischen Abhängigkeiten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Importeure in einem knappen Weltmarkt bewegen, der noch keine festen Strukturen hat. 

Die EU und Deutschland verzichten mit der Importoption auf die Chance, die Energieversorgung von Abhängigkeiten zu befreien, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder zweifelhafte außenpolitische Koalitionen erzwangen. 

Hinzu kommt die Dringlichkeit bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft. Sollten Lieferanten in Übersee mit dem Ausbau ihrer Kapazitäten nicht schnell genug vorankommen, könnten dadurch schlagartig die deutschen Klimaziele unerreichbar werden. 

Auch der Unterschied zwischen den Gestehungskosten von PtX in Übersee und den Weltmarktpreisen sollte beachtet werden, wie sie im Öl- und Gasmarkt immer wieder zu beobachten waren. Ein knappes Wasserstoffangebot würde die Weltmarktpreise, und damit die Preise für deutsche H2-Importe, weit über die Gestehungskosten treiben.

Vorteile der Importlösung

Bei Importen entfällt die Notwendigkeit, das Angebot an Solar- und Windstrom im Inland mit enormer Geschwindigkeit und gegen politische Widerstände ausbauen zu müssen.

Als weiteres Argument lässt sich anführen, dass Importe langfristig wohl ohnehin notwendig werden. Es ist aus heutiger Sicht unrealistisch, bis 2040 oder 2050 um die 500 TWh Grünen oder Blauen Wasserstoff nur aus inländischer Produktion zu erwarten.

Zusammenfassende Darstellung der Hochlaufszenarien

Im folgenden Schaubild werden die Szenarien zusammenfassend verglichen: Mengen, Emissionen, Kosten, Wertschöpfung und Systemnutzen für den Strommarkt.

Damit sind naturgemäß große Unsicherheiten verbunden. Daher werden auch die potenziellen Risiken eines Pfades beim Klimaschutz und bei den Kosten bewertet.

Vergleicht man nun die sieben Szenarien, wird schnell klar, dass weder die Option mit hohen Importen noch der Blaue oder der Blaugraue Wasserstoffpfad attraktive Optionen darstellen. Sie könnten nur bei den Kosten mithalten, aber die erwartbaren Emissionen und Emissionsrisiken sind so hoch, dass sie für einen Pfad ausscheiden, der mit den Pariser Klimaschutzzielen vereinbar wäre. 

Auch zwischen den Hochlaufpfaden für Grünen Wasserstoff gibt es deutliche Unterschiede. Das Szenario Failed Policies mit seinem zögerlichen Ausbau von Wind- und Solarstrom schneidet nicht besser ab als Blauer Wasserstoff.

Auf der zweitbesten Position steht das Referenzszenario, das sich an der Nationalen Wasserstoffstrategie und dem geplanten Ausbau von Solar- und Windstrom orientiert.

Die mit Abstand beste Option stellt jedoch das Szenario Beschleunigung mit der Variante der kostenoptimierten Fahrweise von Elektrolyseuren und der Rückverstromung von Wasserstoff bei geringer Wind- und Solarstromeinspeisung dar. Hier gelingt schon in wenigen Jahren die vollständige Dekarbonisierung des Strommixes, so dass der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft fast emissionsfrei ablaufen kann.

Die Wasserstoffnachfrage

Das Angebot an Grünem Wasserstoff wird zunächst knapp bleiben. Welche Einsatzprioritäten wären daher sinnvoll? Wo entfaltet Wasserstoff den größten Klimaschutzeffekt?

Die Bewertung der Hochlaufszenarien verdeutlicht, dass der Wasserstoffbedarf nicht isoliert, sondern stets im breiteren Kontext  des Strommarktes, der Fahrweise der Elektrolyseure und der übrigen Klimaschutzoptionen gesehen werden sollte.

Ein aus Angebotssicht optimierter Markthochlauf steht sogar in einem gewissen Widerspruch zu den bisherigen Analysen zur Wasserstoffnachfrage, wie die folgende Übersicht zeigt.

Der politische Rahmen: NWS und EWS

Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (BMWi 2020) und der Europäischen Wasserstoffstrategie (European Commission 2020) wurde im Sommer der politische Rahmen für den Markthochlauf von Wasserstoff abgesteckt (Details in Kapitel 4).

Die EU-Strategie favorisiert einen enorm raschen Markthochlauf, der sich auf die Grundstoffchemie (Ammoniak, Methanol) und Raffinerien konzentriert.

Die Elektrolyseure hätten in diesem Umfeld eine hohe Auslastung, was in unseren Angebotsszenarien der „bedarfsorientierten Fahrweise“ für Großverbraucher entspricht. Versorgungslücken müssten bis in die 40er Jahre hinein durch große Mengen an Blauem Wasserstoff geschlossen werden.

Die deutsche Wasserstoffstrategie konstatiert bis 2030 einen Wasserstoffbedarf von 90-110 TWh, plant allerdings bis dahin einen Ausbau von Elektrolyseuren mit einer Kapazität von lediglich 15-20 TWh. Die Bedarfslücke müsste also durch Altanlagen für Grauen Wasserstoff oder Importe gedeckt werden, die sich bislang nicht abzeichnen. Auch Blauer Wasserstoff scheint bis dahin unrealistisch, da die notwendigen CCS-Speicherkapazitäten für deutsche CO2-Exporteure nicht zur Verfügung stehen.

Die Einsatzprioritäten der deutschen Wasserstoffstrategie liegen in der Industrie:

  • Grauer Wasserstoff in SMR-Anlagen soll durch Grünen Wasserstoff ersetzt werden.
  • Gleichzeitig soll die Dekarbonisierung der heimischen Stahlproduktion starten und bis 2050 abgeschlossen sein.
  • Dasselbe gilt für die Ammoniakproduktion.
  • Im Verkehrssektor soll der Fokus auf Brennstoffzellen für den Öffentlichen Personennahverkehr liegen, also insbesondere Busse, und Teile des LKW-Verkehrs.

Wasserstoffnachfrage in den Klimaschutzstudien

Die Schätzungen über die notwendigen Wasserstoffmengen in Deutschland gehen in den Klimaschutzstudien weit auseinander, selbst wenn nur Szenarien betrachtet werden, die bis 2040 oder 2050 eine Dekarbonisierung von über 95% anstreben. Die größten Unterschiede zeigen die Studien bei vier Variablen:

  • die Höhe der Endenergienachfrage im Jahr 2040/2050; dafür sind vor allem unterschiedliche Annahmen zu Effizienzgewinnen und zur Beharrung alter Technologiepfade verantwortlich
  • der Grad der Elektrifizierung, insbesondere im Verkehr und bei der Gebäudewärme; die meisten Studien erwarten, dass sich die Elektromobilität im PKW-Verkehr durchsetzt, aber einige Studien setzen auch auf Powerfuels (PtX) in Verbrennungsmotoren oder auf Brennstoffzellenfahrzeuge
  • der Umfang der Wasserstoff- oder PtX-Importe
  • viele Studien lassen den deutschen Anteil am grenzüberschreitenden Luft- und Seeverkehr völlig außer Betracht.

Durchschnitt der Prognosen

Die neueren Klimaschutzstudien errechnen inklusive Luft- und Seeverkehr im Durchschnitt auf folgenden Wasserstoffbedarf für Deutschland (H2/PtG/PtL):

  • 2030: 80 TWh Wasserstoff
  • 2040: 200 TWh Wasserstoff 
  • 2050: 900 TWh Wasserstoff mit einer großen Bandbreite 

Auf die einzelnen Sektoren entfallen dabei bis 2050, ebenfalls mit großen Bandbreiten, die folgenden Grünen oder Blauen Wasserstoffmengen:

  • Ersatz für Grauen Wasserstoff (SMR-Anlagen) in Raffinerien und in der Chemiebranche: 20-30 TWh Wasserstoff 
  • Stahlbranche (Grüner Stahl): 60 TWh H2
  • Grundstoffchemie: 200-300 TWh Wasserstoff
  • Verkehr 150-500 TWh 
    • PKW/ÖPV/LNF: 20-40 TWh
    • LKW:  50-200 TWh 
    • Internationaler Flugverkehr und Schiffsverkehr (deutscher Anteil): 100-300 TWh
  • Gebäudewärme: (v.a. Zentrale Wärmeerzeugung) 30-200 TWh 
  • Stromsektor: (Rückverstromung/Heizkraftwerke mit H2) 10-200 TWh 
  • Importe: In den meisten Szenarien wird ein großer Teil des Wasserstoffbedarf/PtL-Bedarfs im Jahr 2040/2050 importiert. Gleichzeitig halten die meisten Szenarien eine inländische Wasserstofferzeugung von 150-200 TWh pro Jahr für sinnvoll oder notwendig. 

Industrie

Wichtige Industrieanlagen mit hohen Emissionen sind in Deutschland veraltet und müssen ohnehin im laufenden Jahrzehnt grundsätzlich modernisiert werden. Das gilt für SMR-Anlagen (Grauer Wasserstoff), Steamcracker (Grundstoffchemie) und Hochofenrouten (Stahl). 

Die Ölraffinerien sehen generell einer ungewissen Zukunft entgegen, da die Elektromobilität die Nachfrage nach ihren Hauptprodukten Benzin und Diesel allmählich schwinden lässt (Details in Kapitel 4).

In dieser Hinsicht bieten sich hier relativ günstige Ansatzpunkte für eine Transformation Richtung Grüner Wasserstoff. 

Aus der Sicht unserer Hochlaufszenarien sind dies jedoch bis weit in die 30er Jahre hinein nicht die optimalen Nachfragesektoren. Chemie, Stahl und Raffinerien benötigen Großelektrolyseure mit einer bedarfsorientierten Fahrweise. 

Die Simulationen zeigen jedoch, dass ein Ausbau aus Angebotssicht zu vergleichsweise hohen Kosten und hohen Emissionen führt.

Zudem macht die immer schnellere Transformation Richtung Elektromobilität viele Raffinerien überflüssig. Grüner Wasserstoff sollte daher in anderen Sektoren zum Einsatz kommen. Im Stahlsektor wiederum bietet sich der Einsatz von Erdgas anstellt von Kokskohle als Zwischenlösung an. Auch wurden hier die Recyclingpotenziale noch nicht ausgeschöpft.

Verkehr

  • PKW

Die meisten Autoren setzen mittlerweile im PKW-Sektor auf den Zeitvorsprung der Elektromobilität, sowie auf die stetig fallenden Kosten bei Batterien und die immer bessere Verfügbarkeit von sauberem Grünstrom. Auch die Knappheit von Grünem Wasserstoff spricht für die Route der Elektromobilität.

  • LKW-Verkehr

Der Technologiepfad bei schweren LKW ist noch nicht klar. Eine wichtige Weichenstellung wäre die Entscheidung, dass LKW an Autobahnen ihren Strom über Oberleitungen beziehen können. Powerfuels (PtL), Batterien oder Brennstoffzellen könnten dann als Range Extender das Oberleitungsnetz ergänzen.

Ohne Oberleitungsnetz steigen die Chancen für synthetische Powerfuels, für deren Herstellung Wasserstoff und CO2 benötigt wird. Auch wäre der direkte Einsatz von Wasserstoff in Brennstoffzellen möglich.

Ein Netz aus 140 Wasserstofftankstellen für den LKW-Verkehr scheint dafür ausreichend, so aktuelle Studien. Sie könnten über nahe Elektrolyseure versorgt werden, die lokal produzierten Grünstrom verwenden.

  • Flugverkehr

Die Kraftstoffverbrennung in großer Höhe verursacht einen dreifach höheren Treibhausgaseffekt als die Verbrennung am Boden. Schon aus diesem Grund kann eine Reduzierung des Flugverkehrs überproportional zum Klimaschutz beitragen. Umgekehrt reicht eine CO2-neutrale Herstellung von synthetischem Kerosin nicht aus, um den höheren Treibhausgaseffekt bei der Verbrennung auszugleichen. 

Im Inlandflugverkehr und im europäischen Kurzstreckenverkehr besteht grundsätzlich die Option, das Volumen regulativ drastisch zu reduzieren. Dasselbe wäre für den europäischen Frachtflugverkehr möglich, der auf Schiene, Straße oder Schiff verlagert werden könnte. Flüge könnten z.B. nur in dem Umfang stattfinden, wie synthetisches Kerosin zur Verfügung steht. 

Im Langstreckenflugverkehr ist die Situation schwieriger. Hier stellen synthetische Kraftstoffe oder Biokraftstoffe bislang die einzigen Alternativen zu fossilem Kerosin dar. Ohne Elemente der Suffizienz und ohne regulative Eingriffe zeichnet sich hier keine Lösung ab.

  • Seeverkehr

Auch im Seeverkehr sind Batterien keine Alternative. Der direkte Einsatz von Wasserstoff als Kraftstoff ist möglich, aber aufwendig. Stattdessen könnte der Wasserstoff mit überschaubarem Aufwand z.B. zu Ammoniak weiterverarbeitet werden.

Gebäudewärme

Ähnlich wie im PKW-Verkehr gehen auch bei der Raumwärme die Einschätzungen in den Studien weit auseinander.

Die Wärmepumpe bietet hier unbestritten eine effiziente Lösung an. Sie wird in den meisten Szenarien durch eine beschleunigte Gebäudesanierung ergänzt. Die Herstellung von synthetischen Brennstoffe erfordert einen höheren Energieaufwand.

Wasserstoff als Beimischung im Erdgasnetz und für die Rückverstromung

Solange Grüner Wasserstoff knapp bleibt und Engpässe im deutschen Stromnetz existieren, bieten sich lokale undregionale Lösungen für die Beimischung von Wasserstoff im Erdgasnetz an.

Hier könnten Elektrolyseure das Angebot lokaler Wind- oder Solarstromanlagen nutzen, das ansonsten aufgrund von Engpässen im Stromnetz abgeregelt werden müsste.

Wasserstoff bietet sich zudem als langfristiger Energiespeicher an, der Engpässe im Stromnetz durch die Rückverstromung entschärfen kann. 

Dadurch können Stromengpässe in den „Dunkelflauten“ entschärft werden, wenn weder Fotovoltaik noch Windstrom ausreichende Strommengen bereitstellen können. 

Bisherige Lösungsansätze, also insbesondere Erdgaskraftwerke, könnten durch optimierte H2-Kraftwerke ersetzt werden. Da Wasserstoff in großen Mengen speicherbar ist, steht einer Vollversorgung durch Erneuerbare Stromerzeuger in Kombination mit Grünen Wasserstoffspeichern dann nichts mehr im Weg.

Konsequenzen für den Wasserstoffeinsatz

Welche Konsequenzen haben diese Überlegungen für einen Markthochlauf von Grünem Wasserstoff? Welcher Bedarf sollte wie rasch gedeckt werden?

Zunächst gilt: Ein schneller Hochlauf der Wasserstoffnachfrage hätte klimapolitisch keine Vorteile, wenn nicht gleichzeitig das Angebot von Wind- und Solarstrom beschleunigt ausgebaut wird. 

1. Wenn die Elektrolyseure bedarfsorientiert mit hoher Auslastung den aktuellen Strommix nutzen müssten, hätte das zunächst höhere Emissionen zur Folge als beim Einsatz von Grauem Wasserstoff. Auch wären die Produktionskosten höher als bei der optimierten Fahrweise, da nicht mehr flexibel auf Preissignale reagiert werden kann.

Der Hochlauf der Wasserstoffnachfrage sollte also stets mit Rücksicht auf das Grünstromangebot und die Fahrweise der Elektrolyseure erfolgen.

2. Andernfalls droht ein technischer Lock-in durch erdgasbasierte Wasserstoffanlagen, die mit CCS Richtung Blauer Wasserstoff aufgerüstet werden. 

Der Text der europäischen und zum Teil auch der deutschen Wasserstoffstrategie spricht sich zwar klar für Grünen Wasserstoff aus, aber die Mengenziele deuten auf einen breiten Einsatz erdgasbasierten Wasserstoffs bis in die 40er Jahre hinein. Dadurch werden die Klimaziele bis 2040 oder 2050 unerreichbar.

3. Auch könnte ein rasch wachsender Wasserstoffsektor die energetisch überlegene direkte Elektrifizierung bremsen, was ein weiteres Handicap auf dem Weg zur Dekarbonisierung wäre.

Die Elektrifizierung dafür geeigneter Sektoren wie PKW, Gebäudewärme oder anderer Stromnachfrager darf durch den Grünstrombedarf der Wasserstoffwirtschaft nicht verlangsamt werden.

Fliegender Start nach 2030

Erst ab dem kommenden Jahrzehnt sollte der Markthochlauf von Wasserstoff stark beschleunigt werden, da der Strommix bis dahin weitgehend dekarbonisiert werden kann. 

Stets sollte jedoch die Elektrifizierung möglichst vieler Sektoren und der Ausbau der Solar- und Windstromanlagen Vorrang haben.

Um dann einen „fliegenden Start“ der Wasserstoffwirtschaft zu ermöglichen, sollte eine breite Anwendung in vielen Sektoren getestet, gefördert und vorbereitet werden. 

Elektrolyseure könnten hier eine flexible Fahrweise wählen, die kostengünstig ist und Emissionen im Strommix vermeidet.

Dadurch kann die aktuelle Dynamik genutzt werden, ohne dass der Wasserstoffbedarf den Möglichkeiten der Grünstromversorgung enteilt.

Ein Versickern der knappen Wasserstoffmengen in wenigen industriellen Großprojekten wäre  dagegen ökonomisch, strategisch und klimapolitisch weniger sinnvoll.

Gleichzeitig sollten Auflagen einen jahrzehntelangen Lock-in durch neue Anlagen für erdgasbasierten Wasserstoff abbremsen. Der Mangel an CCS-Kapazitäten und die nach wie vor hohen Restemissionen der Erdgasroute verhindern hier eine nachhaltige Lösung.